Arbeitsrecht - 16.02.2023

Arbeitnehmerpflichten bei Arbeitsunfähigkeit

Mit Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zum 1. Januar 2023 gehört die Nachweispflicht für gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer der Vergangenheit an. Allerdings bleiben alle übrigen wechselseitigen Rechte und Pflichten im Falle einer Arbeitsunfähigkeit im Arbeitsverhältnis unverändert bestehen.

Gesetzliche Änderungen

Arbeitnehmer sind im Krankheitsfall sowohl gesetzlich und in aller Regel auch arbeitsvertraglich verpflichtet, ihre Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich ihrem Arbeitgeber mitzuteilen (§ 5 Abs. 1 EFZG – Entgeltfortzahlungsgesetz). Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, muss ein ärztliches Attest vorgelegt werden. Wenn Arbeitnehmer ihre Arbeitsunfähigkeit nicht ordnungsgemäß nachweisen, kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern.

Die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) erfolgte v. a. durch Änderungen des SGB IV sowie Ergänzungen des EFZG.

So verpflichtet § 109 SGB IV die gesetzlichen Krankenkassen, eine Meldung über die Arbeitsunfähigkeitsdaten des Arbeitnehmers zum Abruf durch den Arbeitgeber zu erstellen. Der Inhalt der elektronischen Meldung ist nahezu identisch mit der bisherigen AU in Papierform, es unterbleibt allerdings die Angabe der feststellenden Arztpraxis. Die eAU enthält den Beginn und das voraussichtliche Ende der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit, das Datum der ärztlichen Feststellung sowie Angaben zur Erst- oder Folgebescheinigung und dem evtl. Vorliegen eines (Arbeits-)Unfalls. Die Datenübermittlung an die Krankenkassen erfolgt durch die feststellenden Ärzte.

Der zum 1. Januar 2023 neu eingeführte § 5 Abs. 1a EFZG verankert die eAU arbeitsrechtlich und ersetzt die persönliche Nachweispflicht des Arbeitnehmers bei einer Arbeitsunfähigkeit. Erkrankte Arbeitnehmer müssen das ärztliche Attest zum Nachweis ihrer Arbeitsunfähigkeit ab sofort nicht mehr persönlich einreichen, dieser Vorgang erfolgt nun automatisiert und elektronisch.

Ausnahmen

Das eAU-Verfahren gilt jedoch nicht für alle Beschäftigten, sondern ohne Einschränkungen nur für gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer. Es gilt nicht für

  • Beschäftigte, die privat krankenversichert sind,
  • geringfügig Beschäftigte in Privathaushalten,
  • Teilnehmer an Rehabilitations- und Vorsorgemaßnahmen und
  • gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer, soweit die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt festgestellt wurde, der nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt, wie z. B. Privatärzte oder Ärzte im Ausland.

Diese Personen müssen ihre Arbeitsunfähigkeit wie bisher in Papierform nachweisen.

Arbeitnehmerpflichten

Mit der Einführung des eAU-Verfahrens ist lediglich die persönliche Nachweispflicht der Beschäftigten durch Vorlage des „gelben Scheins“ entfallen. Unverändert besteht dagegen die Verpflichtung, sich im Krankheitsfall unverzüglich bei seinem Arbeitgeber zu melden. Nach wie vor müssen die Arbeitsunfähigkeit und ihre voraussichtliche Dauer schnellstmöglich auf dem betriebsüblichen Weg mitgeteilt werden. Wie bisher reicht es keinesfalls aus, den Arbeitgeber erst nach einem Arztbesuch über eine Erkrankung zu informieren. In welcher Form, z. B. telefonisch oder per E-Mail, zu welcher Zeit und gegenüber welchen betrieblichen Stellen die Krankmeldung zu erfolgen hat, kann und muss jeder Betrieb eigenständig organisieren und vorgeben.

Unabhängig von betriebsorganisatorischen Aspekten erhält der Arbeitgeber nur durch die persönliche Krankmeldung Kenntnis von der Arbeitsunfähigkeit und kann dann im Nachhinein bei der Krankenkasse die entsprechende eAU abrufen.

Unverändert haben Arbeitgeber – von wenigen Ausnahmen abgesehen – keinen Anspruch auf Angaben dazu, welche Krankheit vorliegt oder welchen Hintergrund die Erkrankung hat. Schon aus Gründen des Persönlichkeitsrechtes und des Datenschutzes besteht in aller Regel keine weitergehende Auskunftspflicht der Arbeitnehmer.

Allerdings haben Arbeitnehmer nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG nur dann Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, wenn sie an ihrer Krankheit kein Verschulden trifft. Auch daran ändern die neuen Verfahrensvorschriften nichts. Schuldhaft handeln Beschäftigte, wenn sie erheblich gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstoßen.

Die Rechtsprechung stellt nur maßvolle Anforderungen an die Sorgfaltspflichten der Beschäftigten. So stellt beispielsweise die Verletzung von Unfallverhütungsvorschriften allein noch kein Verschulden dar. Auch Arbeitsunfälle gelten nur dann als selbst verschuldet, wenn grob fahrlässig gegen Unfallverhütungsvorschriften verstoßen wurde, z. B. bei Nichtbeachtung der Verpflichtung zum Tragen eines Helmes oder von Sicherheitskleidung.

Die grob fahrlässige Verletzung von Verkehrsvorschriften, insbesondere eines Alkoholverbotes, kann den Entgeltfortzahlungsanspruch dagegen ausschließen.

Abläufe für Arbeitgeber

Organisatorisches

Mit Einführung des eAU-Verfahrens sind die Beschäftigten nicht mehr in der Nachweispflicht, sondern der Arbeitgeber hat eine Holschuld.

Suchen Beschäftigte einen Arzt auf, ist das weitere Verfahren so organisiert, dass bei Feststellung der Arbeitsunfähigkeit die Ärzte verpflichtet sind, die eAU unmittelbar, spätestens am Ende des Tages, an die Krankenkasse zu übermitteln. Diese sind dann wiederum verpflichtet, eine Meldung zum Abruf für die Arbeitgeber zu erzeugen, die wie zuvor beim „gelben Schein“ alle Daten enthält, die der Arbeitgeber benötigt, um seinen arbeitsrechtlichen Pflichten einschließlich der Entgeltfortzahlung nachzukommen.

Die Arbeitgeber müssen ihrerseits die AU-Daten über den GKV-Kommunikationsserver bei der zuständigen Krankenkasse abfragen und verarbeiten.

Nachweispflicht bei technischen Störungen

Ob die Einführung der digitalen Krankmeldung reibungslos verläuft oder nicht, wird sich zeigen. Jedoch können jederzeit technische Störungen bei der Übermittlung der Daten eintreten. Unglücklicherweise gibt es für die Vorgehensweise in diesen Fällen keine gesetzliche Vorgabe.

Jedoch dürfte eine verspätete oder fehlerhafte Übermittlung von Daten kaum den Beschäftigten anzulasten sein und deshalb keine Grundlage für arbeitsrechtliche Maßnahmen wie z. B. eine Abmahnung bieten. Von den Mitarbeitern kann – neben Einhaltung ihrer Anzeigepflicht – nur verlangt werden, sich bei einem Arzt vorzustellen. Eine Verpflichtung zur Vorlage einer AU in Papierform sehen die gesetzlichen Bestimmungen auch in Störungsfällen nicht vor.

Allerdings liegt die Darlegungs- und Beweislast für einen Entgeltfortzahlungsanspruch noch immer bei den Beschäftigten, weshalb diese im Streitfall zumindest den Nachweis führen müssen, spätestens nach Ablauf von drei Tagen einen Arzt zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit aufgesucht zu haben. Die Ausstellung eines entsprechenden Beleges dürfte daher sinnvoll sein – was zu der etwas seltsamen Situation führen kann, dass die Beschäftigten durch Vorlage eines Papiers ihre papierlose Arbeitsunfähigkeitsmeldung nachweisen müssten.

Arbeitsvertragliche Regelungen

Durch Einführung des eAU-Verfahrens werden Arbeitgeber die Anwendbarkeit arbeitsvertraglicher Klauseln überprüfen und bei Bedarf auch ändern müssen. Gleiches gilt für den Inhalt von Betriebsvereinbarungen.

Die Beschäftigten können seit dem 1. Januar 2023 vertraglich nicht mehr zur Vorlage einer AU verpflichtet werden, sondern nur noch zu einer ärztlichen Feststellung ihrer Arbeitsunfähigkeit, was auch, im Grunde unverändert, schon vor Ablauf von drei Tagen verlangt werden kann. Insbesondere bei Abschluss neuer Arbeitsverträge sollte der Vertragsinhalt an die neue Gesetzeslage angepasst werden.

Beweiswert

Unberührt bleibt die Verpflichtung des behandelnden Arztes, seinem Patienten eine für ihn bestimmte AU-Bescheinigung auszuhändigen. Denn auch wenn die Arbeitsunfähigkeit nun auf elektronischem Weg nachgewiesen werden muss, bleibt der hohe Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung unverändert bestehen. Arbeitgeber können diesen nur erschüttern, wenn sie konkrete Umstände vorbringen, die sehr ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des Attestes begründen (BAG, Urteil vom 8. September 2021, 5 AZR 149/21).

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