Sozialversicherung - 11.04.2022

Neue Kriterien für das Zusätzlichkeitserfordernis

Arbeitgeber können ihren Arbeitnehmern zur Nettolohnoptimierung zusätzlich zu ihrem eigentlichen Arbeitsentgelt Leistungen gewähren, die unter u.U. steuer- und beitragsfrei sind. Voraussetzung dafür ist, dass sie unter Berücksichtigung des sog. „Zusätzlichkeitserfordernisses“ gewährt werden. Eine gesetzliche Klarstellung ist erfolgt und gilt seit 2020; in diesem Zusammenhang haben sich Änderungen ergeben.

Geltungsbereich für das Zusätzlichkeitserfordernis

Die Kriterien für steuer- und beitragsfreie Zusatzleistungen waren lange Zeit gesetzlich nicht klar geregelt. Stattdessen musste man sich in der Vergangenheit der höchstrichterlichen Rechtsprechung bedienen, die Bedingungen für die Anerkennung der Zusätzlichkeit entwickelt hatte. Daraus wurde abgeleitet, was in der betrieblichen Praxis bei der Gewährung solcher Leistungen zu beachten war. Die Kriterien der Zusätzlichkeit wurden zudem im Steuer- und Sozialversicherungsrecht unterschiedlich ausgelegt. Inzwischen wurde die Beurteilung vereinfacht.

In der betrieblichen Praxis wird zwischen zwei unterschiedlichen Arten von Arbeitgeberleistungen unterschieden, für die das Zusätzlichkeitserfordernis gilt. Dies sind zum einen Arbeitgeberleistungen, für die das Steuerrecht eine Zusätzlichkeit verlangt, um sie lohnsteuerfrei belassen zu können. Diese Arbeitgeberleistungen sind bei bestehender Steuerfreiheit auch beitragsfrei in der Sozialversicherung. Hierunter fallen:

  • Steuerfreie Einnahmen nach § 3 EStG: Corona- Beihilfen, Job-Tickets, Kindergartenzuschüsse (für nicht schulpflichtige Kinder), Zuschüsse zu Gesundheitsmaßnahmen, Zuschüsse zu Familienservice und Kindernotbetreuung, Überlassung eines Betriebsfahrrades inklusive Pedelecs, Aufladen von Elektrofahrzeugen im Betrieb des Arbeitgebers
  • Pauschalversteuerte Einnahmen nach § 40 Abs. 2 EStG: Zahlung von Essenszuschüssen, Schenkung oder verbilligte Überlassung von Mahlzeiten, Übereignung von Datenverarbeitungsgeräten (inkl. Zubehör und Internetzugang), von Ladevorrichtungen für Elektrofahrzeuge und von betrieblichen Fahrrädern, Fahrkostenzuschüsse
  • Weitere Leistungen: Sachzuwendungen bis zu einer Freigrenze von monatlich 50 EUR (§ 8 Abs. 2 Satz 11 EStG), BAV-Förderbetrag für Geringverdiener (§ 100 EStG)

Auf der anderen Seite gibt es die Arbeitgeberleistungen, die auch dann steuerfrei sind, wenn sie nicht zusätzlich zum eigentlichen Arbeitsentgelt ausgezahlt werden, bei denen das Beitragsrecht der Sozialversicherung aber eine Zusätzlichkeit verlangt (Einnahmen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SvEV). Hierzu zählen:

  • Werkzeuggeld (§ 3 Nr. 30 EStG)
  • Überlassung von Berufskleidung (§ 3 Nr. 31 EStG)
  • Sammelbeförderung (§ 3 Nr. 32 EStG)
  • Mitarbeiterkapitalbeteiligungen (§ 3 Nr. 39 EStG)
  • Private Nutzung betrieblicher Datenverarbeitungs- und Telekommunikationsgeräte sowie von Zubehör und Software (§ 3 Nr. 45 EStG)
  • Durchlaufende Gelder und Auslagenersatz (§ 3 Nr. 50 EStG)
  • Kaufkraftausgleich für Auslandseinsätze (§ 3 Nr. 64 EStG)
  • Beiträge zur umlagefinanzierten betrieblichen Altersversorgung (§ 3 Nr. 56 EStG bzw. § 40b EStG)

Praxistipp

Arbeitgeber sollten darauf achten, dass sie die von ihnen gewährten Leistungen richtig beurteilen. Falsche Beurteilungen führen zu Nachforderungen von Steuern und/oder Beiträgen.

Beispiel Kindergartenzuschuss

Sachverhalt:

Ein Arbeitnehmer erhält monatlich ein laufendes Arbeitsentgelt in Höhe von 2.000 EUR. Ab dem 1. März 2022 erhält er von seinem Arbeitgeber zusätzlich einen Kindergartenzuschuss (das Kind ist noch nicht schulpflichtig) in Höhe von 200 EUR monatlich.

Beurteilung:

Der Kindergartenzuschuss (für die Unterbringung, einschließlich Unterkunft und Verpflegung) wird zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitsentgelt gewährt. Er ist deshalb in Höhe von 200 EUR monatlich steuerfei (§ 3 Nr. 33 EStG) und beitragsfrei zur Sozialversicherung.

Zusätzlichkeitserfordernis im Steuerrecht

Mit dem Jahressteuergesetz 2020 wurde für das Einkommensteuerrecht geregelt, was konkret unter „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ zu verstehen ist (§ 8 Abs. 4 EStG). Nach der gesetzlichen Definition sind nur echte Zusatzleistungen des Arbeitgebers steuerbegünstigt, d. h. wenn die folgenden vier Kriterien erfüllt sind:

  • die Leistungen dürfen nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet werden,
  • der Anspruch auf Arbeitslohn darf nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt werden,
  • die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung darf nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt werden und
  • bei Wegfall der Leistung darf der Arbeitslohn nicht erhöht werden.

Ohne Bedeutung bei der Beurteilung ist, ob der Arbeitslohn tarifgebunden ist oder nicht.

Praxistipp

Ein Entgeltverzicht oder eine Entgeltumwandlung erfüllt das steuerrechtliche Zusätzlichkeitserfordernis nicht. In diesem Falle ist die jeweilige Arbeitgeberleistung steuerpflichtig.

Steuer- und Sozialversicherungsrecht harmonisiert

Für das Zusätzlichkeitserfordernis gibt es im Sozialversicherungsrecht im Gegensatz zum Steuerrecht keine gesetzliche Definition. Die Kriterien für die Sozialversicherung leiten sich bislang aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ab.

Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung haben in ihrer Besprechung am 11. November 2021 – insbesondere aufgrund aktueller Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – festgelegt, dass für die sozialversicherungsrechtliche Zusätzlichkeit die gesetzlich definierten Kriterien des steuerrechtlichen Zusätzlichkeitserfordernisses Anwendung finden sollen. Damit gelten seit dem 1. Januar 2022 dieselben Kriterien für die steuer- und die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Zusätzlichkeit – auch in Bestandsfällen:

Im Sozialversicherungsrecht sind bis Ende 2021 auch Entgeltumwandlungen im Sinne eines vorherigen Entgeltverzichts unter das Zusätzlichkeitserfordernis gefallen. Auf dieser Basis gewährte Arbeitgeberleistungen waren beitragsfrei. Aufgrund der Harmonisierung von Steuer- und Sozialversicherungsrecht gilt dies für den Entgeltverzicht bzw. die Entgeltumwandlung nicht mehr. Konkrete Auswirkungen in der betrieblichen Praxis hat dies auf solche Arbeitgeberleistungen, für die ausschließlich im Sozialversicherungsrecht ein Zusätzlichkeitserfordernis besteht und ein Entgeltverzicht bzw. eine Entgeltumwandlung durchgeführt wurde. Solche Leistungen waren bislang beitragsfrei, seit dem 1. Januar 2022 greift die Beitragsfreiheit nicht mehr.

Beispiel Mitarbeiterkapitalbeteiligung

Sachverhalt:

Eine Arbeitnehmerin erhält jeweils im November ein tarifvertragliches Weihnachtsgeld als 13. Monatsgehalt (4.000 EUR). Im Oktober 2021 ist eine jährliche Mitarbeiterkapitalbeteiligung aus dem Weihnachtsgeld in Höhe von 1.000 EUR in Form eines dauerhaften und wirksamen Entgeltverzichts vereinbart worden. Aufgrund des seit dem 1. Juli 2021 auf 1.440 EUR erhöhten Steuerfreibetrages waren von dem Weihnachtsgeld lediglich noch 3.000 EUR steuer- und beitragspflichtig.

Beurteilung:

Bei der Mitarbeiterkapitalbeteiligung handelt es sich um eine Arbeitgeberleistung, für die ausschließlich im Sozialversicherungsrecht ein Zusätzlichkeitserfordernis besteht. Die Leistung konnte im November 2021 steuer- und beitragsfrei gewährt werden. Seit dem 1. Januar 2022 erfüllen Entgeltumwandlungen im Sinne eines vorherigen Entgeltverzichts hinsichtlich der Sozialversicherung nicht mehr die Kriterien der Zusätzlichkeit. Deshalb führt die Mitarbeiterkapitalbeteiligung im November 2022 nicht zu Beitragsfreiheit, das Weihnachtsgeld ist in voller Höhe beitragspflichtig (4.000 EUR). Steuerrechtlich ergeben sich keine Auswirkungen, denn für Mitarbeiterkapitalbeteiligungen wird für die Steuerfreiheit keine Zusätzlichkeit verlangt.

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