Arbeitsrecht - 12.12.2022

Arbeitszeiten müssen erfasst werden

Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sind Unternehmen aus Arbeitsschutzgründen dazu verpflichtet, die gesamten Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten systematisch zu erfassen. Bisher musste eine Erfassung nur in bestimmten Ausnahmefällen erfolgen.

„Stechuhr-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofs

Das BAG beruft sich mit seiner Entscheidung vom 13. September 2022 (1 ABR 22/21) auf das sog. „Stechuhr-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2019. Darin hatten die Luxemburger Richter mit Hinweis auf die geltenden Arbeitszeitrichtlinien die Erfassung der Arbeitszeiten zur Pflicht für alle Arbeitgeber gemacht (EuGH vom 14. Mai 2019, C-55/18). Im Wesentlichen verlangt der EuGH generell die Installation oder Nutzung von Arbeitszeiterfassungssystemen, die „objektiv, verlässlich und zugänglich“ sein müssen, und forderte die nationalen Gesetzgeber schon 2019 zum Handeln auf.

In Deutschland waren sich danach ausnahmsweise nahezu alle Arbeitsrechtler einig: Weder das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) noch andere gesetzliche Bestimmungen schreiben Arbeitgebern die Erfassung der Arbeitszeiten verbindlich vor. Folglich waren Unternehmer und Arbeitgeber verunsichert und warteten auf Signale aus dem Bundesarbeitsministerium. Allerdings setzte der EuGH keine Frist, bis wann der Inhalt seines Urteils in nationales Recht zu übernehmen sei. Wenig überraschend sah die Politik deshalb keinen dringenden Handlungsbedarf und wurde nicht tätig.

Diese gut dreijährige Passivität könnte sich nun rächen, nachdem sich auch das BAG mit der Frage der Arbeitszeiterfassung beschäftigen musste, wenngleich aus anderem Anlass als zuvor der EuGH. Die aktuelle Entscheidung aus Erfurt könnte jedoch gravierende Folgen haben, denn zur allgemeinen Überraschung entschied das BAG, dass es sehr wohl eine nationale gesetzliche Grundlage und damit eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gäbe. Diese verpflichtende Norm sei nämlich schon seit Jahrzehnten im deutschen Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) enthalten.

Was sagt das BAG?

Ausgangspunkt der Entscheidung des BAG war eine kollektivrechtliche Problemstellung. Streitig war, ob einem Betriebsrat das Initiativrecht zur Einführung einer elektronischen Zeiterfassung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zustand. In erster Instanz war der Betriebsrat nicht erfolgreich. Das angerufene Arbeitsgericht entschied, dass einem Betriebsrat auch mit Blick auf die Entscheidung des EuGH vom 14. Mai 2019 kein Initiativrecht zur Arbeitszeiterfassung zustände. Allerdings akzeptierte die Mitarbeitervertretung diese Entscheidung nicht, und so kam der Fall zum höchsten deutschen Arbeitsgericht.

Der Betriebsrat hatte auch vor dem BAG auf den ersten Blick keinen Erfolg, denn sein Antrag wurde erneut abgewiesen. Ob Arbeitgeber sich aber im Ergebnis über dieses Urteil freuen können, ist eine ganz andere Frage.

Denn der klagende Betriebsrat war deshalb nicht erfolgreich, weil sich die Richter an die alte Regel des § 87 Abs. 1 BetrVG erinnert hatten: Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht nämlich immer nur dann, wenn die streitige betriebliche Angelegenheit nicht bereits gesetzlich geregelt ist. Genau diese gesetzliche Regelung bestehe nach Ansicht des BAG und zur Überraschung der Beteiligten in diesem Verfahren aber schon seit Jahren im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Arbeitgeber seien nämlich bei einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 3 Abs. 2 ArbSchG gesetzlich zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems verpflichtet. Das BAG hat damit klargestellt, dass eine Arbeitszeiterfassung als erforderliche Maßnahme des Arbeitsschutzes zum Zwecke des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten anzusehen ist, zu der Arbeitgeber verpflichtet sind.

Im Ergebnis steht einem Betriebsrat deshalb kein Initiativrecht bei Einführung einer Maßnahme zur Arbeitszeiterfassung zu, weil Arbeitgeber gem. § 3 Abs. 2 ArbSchG ohnehin verpflichtet sind, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten zu erfassen.

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