BGM - 12.12.2022

Präsentismus: Krank zur Arbeit?

Zu Hause bleiben, wenn man krank ist: Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Viele Arbeitnehmer arbeiten aber trotz Erkältung, Rückenschmerzen und sogar mit einer Coronainfektion weiter. Dieses Verhalten, auch Präsentismus genannt, kann negative Folgen haben: Denn Mitarbeiter, die krank zur Arbeit gehen, gefährden nicht nur ihre eigene Gesundheit, sondern stellen langfristig auch einen erheblichen Kostenfaktor für das Unternehmen dar.

Falsch verstandenes Pflichtgefühl

Während der Coronapandemie ist das Bewusstsein für das Gesundheitsverhalten am Arbeitsplatz gestiegen. Dies hat dem Präsentismus aber nicht wirklich ein Ende gesetzt. Eine wichtige Maßnahme zur Eindämmung des Coronavirus ist bekanntermaßen, dass infizierte Mitarbeiter der Arbeit fernbleiben. Trotzdem geht einer aktuellen Studie der pronova BKK zufolge jeder zehnte Beschäftigte mit einer Coronainfektion zur Arbeit. Und auch andere physische und psychische Erkrankungen sind demnach für viele Arbeitnehmer kein Grund, zu Hause zu bleiben. Mit Rückenschmerzen kommen nach dieser Studie 49 Prozent zur Arbeit, 38 Prozent mit Allergien und 20 Prozent mit ansteckenden Infekten (außer Corona). Etwa jeder Zehnte machte sein Erscheinen im Unternehmen nicht von seinem eigenen Gesundheitszustand abhängig, sondern davon, wie viel zu tun ist. Nur 28 Prozent der Arbeitnehmer blieben bei einer Krankheit konsequent zu Hause und arbeiteten nicht.

Arbeiten Beschäftigte trotz einer Erkältung, Schmerzen oder anderen Erkrankungen, sei es von zuhause aus oder im Unternehmen, kann dies sowohl das Resultat betrieblicher Faktoren als auch persönlicher Motive sein: Viele Beschäftigte wollen ihre Kollegen nicht im Stich lassen oder ihnen keine Mehrarbeit aufbürden. Auch ein Verantwortungsgefühl gegenüber Kunden, ein hohes Arbeitsvolumen oder starker Termindruck können Gründe sein, krank zur Arbeit zu erscheinen. Der eine oder andere befürchtet bei krankheitsbedingtem Fehlen berufliche Nachteile oder hat sogar Angst, seinen Arbeitsplatz zu gefährden.

Was können Arbeitgeber tun?

Negative Folgen des Präsentismus

Beschäftigte, die krank zur Arbeit gehen, können sich oft nicht gut konzentrieren und sind in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Die Folgen sind nicht nur eine geringere Arbeitsqualität und eine erhöhte Fehleranzahl, sondern auch ein höheres Risiko für Unfälle am Arbeitsplatz, im Straßenverkehr oder auf dem Arbeitsweg. Auch langfristig kann sich Präsentismus negativ auswirken: Werden Symptome von den Betroffenen über einen längeren Zeitraum ignoriert oder mit Medikamenten unterdrückt, kann es zu ernsthaften Krankheiten wie Herz-Kreislauf- oder schweren psychischen Erkrankungen kommen. Akut auftretende Krankheiten könnten chronisch werden.

In der Coronakrise zeigte sich außerdem ein negativer Aspekt des Präsentismus ganz deutlich: Gehen Beschäftigte mit Infektionskrankheiten zur Arbeit, besteht ein hohes Risiko, dass sie Kollegen oder Kunden anstecken.

Was können Arbeitgeber tun?

Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Beschäftigten. Daher sollten sie Mitarbeiter, die offensichtlich arbeitsunfähig sind, unter vier Augen darauf ansprechen und nach Hause schicken. Führungskräfte sind Vorbild und sollten selbst nicht krank zur Arbeit erscheinen.

Wichtig ist, eine Unternehmenskultur zu schaffen, in der Mitarbeiter keine Angst vor einer Krankmeldung haben müssen. Solange Corona noch eine Rolle spielt, sollte kommuniziert werden, dass das Fernbleiben auch bei vermeintlich leichteren Erkrankungen erwartet wird. Falls die Tätigkeit es zulässt, sollte – bei leichten Symptomen – das Arbeiten von zu Hause aus ermöglicht werden. Auch das klare Benennen von Stellvertretern und Ablaufbeschreibungen können Präsentismus verhindern.

Gesundheitsbewusstsein fördern

Eine wichtige Maßnahme gegen Präsentismus ist das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM). Mit verschiedenen Maßnahmen und einer offenen Mitarbeiterkultur kann den Beschäftigten vermittelt werden, dass sie Erkrankungen nicht als Niederlage oder Einschränkung ihrer Arbeitskraft ansehen sollten. Menschen mit einem hohen Gesundheitsbewusstsein sind wesentlich resistenter gegenüber Präsentismus. Folgende Maßnahmen können dabei helfen, dem Präsentismus entgegenzuwirken:

  • Workshops, die für das Thema Gesundheit sensibilisieren
  • Risikopersonen identifizieren und persönliche Gespräche mit ihnen führen
  • Besseres Projektmanagement, um Druck und Stress zu verringern
  • Möglichkeit, bei leichten Krankheitssymptomen im Homeoffice zu arbeiten

Krank im Homeoffice

Im Homeoffice sind die Barrieren, sich trotz einer Erkrankung an den Computer zu setzen, niedrig. Einer Studie der KLU (Kühne Logistics University) und WHU (Otto Beisheim School of Management) zufolge sind v. a. Schuldgefühle gegenüber ihrem Team ausschlaggebend dafür, dass Beschäftigte krank im Homeoffice arbeiten. Unternehmen sollten klar ansprechen, dass Mitarbeiter mit diesem Verhalten ihrer eigenen Gesundheit schaden und nicht produktiv arbeiten könnten. Es reiche nicht aus, Beschäftigte zu bitten, bei Krankheit zu Hause zu bleiben, sondern sie müssten auch die negativen Konsequenzen ansprechen, wenn sie trotz Krankheit arbeiteten.

Praxistipp

Weitere Informationen zu Ausmaß und Folgen von Präsentismus sowie Präventionsmöglichkeiten sind bei der Initiative Gesundheit und Arbeit (iga) im iga.Faktenblatt 6 (2013) nachzulesen.

Hinweis: Bitte beachten Sie, dass dieser Inhalt zwischenzeitlich veraltet sein könnte.

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