OP am gesunden Herz - Auf dem Weg zur Staatsmedizin
Ende August hat das Bundeskabinett den Entwurf zum „Gesundes-Herz-Gesetz“ beschlossen. Mit dem Gesetz sollen laut Gesetzgeber Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen möglichst früh erkannt und bekämpft werden. Doch die Neuregelungen und deren Finanzierung sind hochumstritten.
„Wir müssen die Gesundheit der Herzen besser schützen. Deutschland hat hier ein Problem – zu viele Herztote. Dafür sollten wir alle unseren Lebenswandel anpassen, uns mehr bewegen und bewusster ernähren. Genauso wichtig ist aber auch, dass wir vererbte Risikofaktoren früher erkennen und besser bekämpfen. Dafür schaffen wir mit dem Gesundes-Herz-Gesetz die Grundlagen. Mit diesem Gesetz können wir die Lebenserwartung und die Lebensqualität in Deutschland deutlich verbessern“.
Mit diesen Worten begründete Gesundheitsminister Karl Lauterbach seine Gesetzesinitiative bei der Vorstellung des Kabinettsbeschlusses.
Wesentliche Änderungen im Überblick:
- Kinder und Jugendliche sollen künftig einen Anspruch auf erweiterte Leistungen zur Früherkennung einer Fettstoffwechselerkrankung.
- Für Erwachsene soll die bereits bestehende Gesundheitsuntersuchung durch die Einführung von Check-ups für Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Alter von 25, 40 und 50 Jahren erweitert werden.
- Gesetzlich Versicherte sollen Gutscheine für eine erweiterte Beratung mit Messungen zu Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Apotheken erhalten.
- Es soll ein gesetzlicher Anspruch auf Versorgung mit Lipidsenkern kommen.
- Der Anspruch auf medikamentöse Therapien zur Tabakentwöhnung soll ausgeweitet werden.
Die Finanzierung dieser Vorhaben soll durch Anrechnung zentraler Ausgabenblöcke auf die bereits bestehenden Leistungen der Krankenkassen für Bereich Gesundheitsförderung und Prävention erfolgen.
Krankenkassen: Staatlicher Gängelung durch weniger Gesundheitsförderung finanzieren?
Die gesetzliche Krankenversicherung unterstützt das politische Anliegen, die Herzgesundheit in Deutschland zu stärken. Allerdings sind die im aktuellen Entwurf des Gesunden-Herz-Gesetzes vorgesehenen Maßnahmen kontraproduktiv:
- Inhalt und Ausgestaltung dieser neuen Angebote werden im Gesetz zum Teil bis in kleinste Details festgelegt. Tatsächlich gibt es mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bereits eine Instanz mit dem gesetzlichen Auftrag, auf Grundlage der evidenzbasierten Medizin Nutzen, medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit aller Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu prüfen. Die bewährte soziale Selbstverwaltung wird von den kleinteiligen gesetzlichen Vorgaben konterkariert.
- Allen Versicherten stehen schon jetzt regelmäßige Früherkennungsuntersuchungen zur Verfügung, die nach sorgfältiger Beratung in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen wurden,
- Das Gesetz setzt auf noch mehr Behandlung von Erkrankten auf Kosten der Vorsorge. Hinzu kommt: werden Finanzmittel der Prävention künftig zur Ausweitung anderer medizinischer Maßnahmen verwendet, müssen die Krankenkassen ihre Leistungen zur individuellen verhaltensbezogenen Primärprävention drastisch einschränken. Konkret betroffen wären dabei Maßnahmen wie Bewegungsangebote in Sportvereinen, Angebote zum Stress- und Ressourcenmanagement, zur gesunden Ernährung und Gewichtsreduktion, Kompaktangebote für pflegende Angehörige sowie auch digitale Präventionsangebote.
Ärzte: Gesetzgeber unterschätzt Nebenwirkungen der Medikamente
Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) wehrt sich vehement gegen die Pläne. „Das ist ein falscher Ansatz. Evidenz und Wirtschaftlichkeit gelten dann nicht mehr und somit stellt das Gesetz einen radikalen Systembruch dar, der die gesetzlichen Regelungen des Sozialgesetzbuches konterkariert“, erklärten die Vorstände der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dres. Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner bereits nach der Vorstellung des Referentenentwurfs im Juli. Insbesondere lehnen sie ab, dass Ärztinnen und Ärzte künftig breiten Bevölkerungsschichten Statine als Cholesterin- bzw. Lipidsenker unkritisch anbieten sollen, insbesondere Kindern. „Das sind sehr wirksame Medikamente, aber mit teils erheblichem Nebenwirkungspotenzial.“
Die erste Lesung des Gesetzes im Bundesrat ist derzeit für den 18. Oktober 2024 geplant, die 1. Lesung im Bundestag ist noch nicht terminiert. Das Inkrafttreten ist einem Medienbericht zufolge im dritten Quartal 2025 geplant.