revista

Das Magazin der BKK WIRTSCHAFT & FINANZEN

Kommt die kontrollierte Freigabe von Cannabis?

Scientist observing CBD hemp plants on marijuana field and taking notes

Vom Medizin- zum Genussprodukt?

Etwas mehr als fünf Jahre ist es her, seitdem der Bundestag die Freigabe von Cannabis zur Schmerzlinderung schwerkranker Krebspatienten beschlossen hat. Mit dem Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung kommt das Thema nun erneut in die Diskussion. Denn Cannabis – lateinisch für Hanf – könnte künftig in einem bestimmten Rahmen generell legalisiert werden.


Bereits seit März 2017 kann Cannabis bei schweren Krankheiten ärztlich verordnet werden. In diesem Fall ist die Abgabe von pharmazeutischem Cannabis legal. Denn gerade bei chronischen neuropathischen Schmerzen ist die Wirksamkeit belegt. Auch bei Übelkeit und Erbrechen aufgrund einer Chemotherapie zeigen Cannabis­-Medikamente eine gute und nachgewiesene Wirkung. Bei palliativ behandelten Aids- und Krebserkrankten wirkt Cannabis zudem appetitstimulierend und auch Übelkeit sowie Erbrechen verbessern sich. Die Abgabe der Cannabis-Medikamente erfolgt in Apotheken in Form von Fertigarzneimitteln in kontrollierten Mengen und von hochwertiger Qualität. Mehr als 9.000 Kilogramm Cannabis wurden 2021 dazu an Apotheken geliefert, dies geht aus einer Antwort des Gesundheitsministeriums auf eine kleine Anfrage der CDU/CSU­- Fraktion hervor. In Deutschland wurde damals die am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) angesiedelte Cannabis­­-Agentur als Regulierungsbehörde eingerichtet. Sie hat die Ernte in Besitz zu nehmen und dafür Sorge zu tragen, dass ausschließlich Cannabis-­Blüten in pharmazeutischer Qualität an Apotheken zur Versorgung von Patientinnen und Patienten ausgeliefert werden. Für den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken werden nach Durchführung eines öffentlichen europaweiten Ausschreibungsverfahrens zeitlich und mengenmäßig begrenzte „Lieferverträge“ vereinbart.

THC & CBD – so wirkt Cannabis

Hanf enthält verschiedene Wirkstoffen, die sogenannten Canna­bin­oide. Die wichtigsten sind THC (Delta-9-Tetrahydrogencanna­binol) und CBC (Cannabidiol). Der Wirkstoffgehalt in den Blüten und Extrakten der weiblichen Pflanze ist besonders hoch.

THC ist das bekannteste Cannabinoid, es dockt an die Nervenzellen im Gehirn an und das Glückshormon Dopamin wird ausgeschüttet. Es wirkt auf Konsumierende berauschend, hebt die Stimmung, verändert die Wahrnehmung und wirkt schmerzlindernd. Als Nebenwirkung kann THC Paranoia, Wahnvorstellungen und Angst auslösen. CBD ist am zweithäufigsten in einer Cannabis-Pflanze enthalten. Es kann die Wirkung des THC abmildern. CBD wirkt beruhigend, entzündungshemmend und schmerzlindernd. Enthält Cannabis mehr THC als CBD, ist die berauschende Wirkung stärker und das Risiko für Nebenwirkungen größer.

Eigenanbau verboten, verarbeitet legal

In Deutschland sind bislang der Anbau, die Herstellung, der Handel, die Ein- und Ausfuhr, die Abgabe, der Erwerb und der Besitz aller Cannabis­-Pflanzenteile strafbar. Auch im Straßenverkehr ist Cannabis verboten. Wird bei einem Bluttest mehr als 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum festgestellt, so folgen rechtliche Konsequenzen in Form von Geldstrafen, Punkte im Fahreignungsregister, Fahrverbote oder die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung, Entziehung der Fahrerlaubnis oder sogar Freiheitsstrafen.  Der Konsum von Cannabis kann dabei im Urin noch mehrere Wochen nachgewiesen werden.

Cannabis ist aber nicht nur als Droge und Rauschmittel bekannt. Egal ob Mode, Ernährung oder Kosmetika – an fast jeder Ecke gibt es mittlerweile Hanfprodukte zum freien Verkauf. Denn CBD ist als Einzelsubstanz legal – die Weltgesundheitsorganisation hat den Stoff sogar als unbedenklich eingestuft, weil Cannabidiol allein kein Suchtstoff ist. In Deutschland sind daher heute ausschließlich verarbeitete CBD-Produkte erlaubt, beispielsweise Cremes. Auf die Haut wirkt es dabei entzündungshemmend und versorgt sie mit wertvollen Antioxidantien, Vitamin D und wichtigen Fettsäuren.

Auch hanfhaltige Lebensmittel wie Hanföl, Hanfsamen oder Hanf­Proteinpulver sind im Einzelhandel immer häufiger vertreten. Diese Produkte enthalten vorrangig Hanfsamen, die aus hochwertigen Fetten, Proteinen, Vitaminen sowie Ballast- und Mineralstoffen bestehen und natürlicherweise kein THC enthalten. Generell dürfen CBD-Produkte aber einen geringen THC-Gehalt von bis zu 0,2 Prozent aufweisen, erst darüber fallen sie wie THC unter das deutsche Betäubungsmittel­gesetz.

In der Textilindustrie sind Hanffasern darüber hinaus schon seit langer Zeit ein geeigneter Stoff für die Herstellung von Kleidung. Sie lassen sich wie Baumwolle verarbeiten und sind dabei noch nachhaltig und besonders bei Allergikern beliebt. Auch das Färben der Hanfstoffe ist möglich.


Das Für und Wider einer Freigabe

Ergebnissen der vom Bundes­gesundheitsministerium in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen CaPRis-Analyse zufolge kann sich die Hirnleistung und vor allem das Gedächtnis verschlechtern, wenn Cannabis rege­mäßig konsumiert wird. Je nach Konsumverhalten wird die Lern- und Erinnerungsleistung erheblich beeinträchtigt. Weitere negative Auswirkungen betreffen die kognitiven Fähigkeiten wie zum Beispiel Denkleistung, Aufmerksamkeit und Problem­lösen. Nicht in allen Studien wurde bestätigt, dass Cannabis-Konsum Auswirkungen auf die Intelligenz hat. Bei Langzeitkonsumenten wurde festgestellt, dass sich das Gehirn in seinem Aufbau und dessen Arbeitsweise verändern kann. Cannabis-Konsum stellt einen Risikofaktor für psychische Erkrankungen dar. Cannabis-Konsumenten erkranken mit größerer Wahrscheinlichkeit an Psychosen. Auch das Risiko für Depressionen und Angststörungen ist erhöht. Cannabis kann körperlich und psychisch abhängig machen.

Ein chronischer Konsum erhöht zudem das ­Risiko für Atemwegserkrankungen. Ein signifikanter Zusammenhang besteht zudem zwischen dem Cannabis-Konsum und dem Auftreten von Mischtumoren des Hodens bei jüngeren Männern. Der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zufolge wird die Gehirnentwicklung durch das THC gerade bei jungen Jugendlichen gestört. Geistige Leistungen können sich verschlechtern und das Risiko für Schizophrenie steigt. Ein dauerhafter Konsum stört zudem die Entwicklung der Persönlichkeit von Jugendlichen.

Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP will eine „kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“ einführen. Das Ziel ist, „die Qualität zu kontrollieren, die Weitergabe verunreinigter Substanzen zu verhindern und den Jugendschutz zu gewährleisten“, so steht es im Koalitionsvertrag. Es soll künftig also nicht mehr nur wie bisher zu medizinischen Zwecken freigegeben werden, sondern für alle Erwachsenen ab ­ 18 Jahren als Genussmittel zur Verfügung stehen. Durch die Abgabe in derzeit noch nicht näher definierten „lizenzierten Geschäften“ soll der Jugendschutz gewährleistet werden. Gesellschaftliche Auswirkungen sollen vier Jahre nach der Legalisierung wissenschaftlich ausgewertet werden. Ärzte und Kranken­kassen fordern, eine streng regulierte Abgabe mit verbindlich geregelten Aufklärungsge­sprächen für den Konsumenten zu verbinden.

„Eine Legalisierung darf nicht zu inflationärem Genuss auf Kosten der Gesundheit führen, sie bleibt aktuell ein Spiel mit dem Feuer“, argumentiert auch Björn Hansen, Vorstand der BKK W&F. Auch das abgebende Personal sollte in verbindlichen Schulungsmaßnahmen im Vorfeld sensibilisiert werden. „Es muss zudem bewusst gemacht werden, dass Konsum zu Genusszwecken weder eine ärztliche noch eine medikamentöse
Behandlung ersetzt“.

Medizinische Verordnung von Cannabis

Haus- und Fachärztinnen sowie Haus- und Fachärzte dürfen heute getrocknete Cannabis-Blüten und -Extrakte sowie Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon verordnen.

Der Anspruch auf Versorgung mit Cannabis besteht, wenn

1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der Ärztin oder des Arztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustands der betroffenen Person nicht angewendet werden kann,

2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.

medizinisches Cannabis
megaflopp/depositphotosID:392938706

Vor der erstmaligen Verordnung eines Cannabis-Präparats muss die betroffene Person die ­Genehmigung ihrer Krankenkasse einholen. Zum Einsatz kommt es bei chronischen Schmerzen, Epilepsie oder Übelkeit in Folge einer Chemotherapie.

Jetzt für unseren Newsletter anmelden: