Neue Serie zur Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung – Teil 1: Zusatzbeiträge
Im deutschen Gesundheitswesen soll es möglichst gerecht zugehen – gerade weil es um die bestmögliche Behandlung im Krankheitsfall für alle geht und dafür Milliarden aufgewendet werden. Wie dieses Geld jedes Jahr zusammenkommt und wie es möglichst gerecht ausgegeben werden kann, ist in 320 Paragrafen des Fünften Sozialgesetzbuches auf mehr als 700 Seiten geregelt. Das Problem: nur Experten verstehen heute noch ansatzweise, was im Gesundheitswesen vor sich geht. In einer neuen Serie werden wir in jeder Ausgabe des Jahres 2025 ein Thema mit Schlaglichtern genauer beleuchten. Da er zu Beginn eines Jahres traditionell häufiger in den Mittelpunkt rückt, macht der Zusatzbeiträge den Anfang.
1. Der Zusatzbeitrag muss eine immer größere Finanzierungslücke decken
Der gesetzlich festgeschriebene allgemeine Beitragssatz beträgt seit 2015 monatlich 14,6 Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen für (Mitglieder ohne Anspruch auf Krankengeld sind es 14,0 Prozent). Den darüberhinausgehenden Finanzbedarf müssen die Krankenkassen seitdem durch einkommensabhängigen Zusatzbeitrag auszugleichen.
Das Problem: die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung lagen damals bei 200 Milliarden Euro, 2025 werden es voraussichtlich 340 Milliarden Euro – mit weiter steigender Tendenz.
Der Zusatzbeitrag muss daher eine immer größere Finanzierungslücke decken.
2. Die Finanzierung über Zusatzbeiträge ermöglicht(e) die Abschöpfung von Reserven der Krankenkassen
Wenn Ausgaben innerhalb von 10 Jahren von 200 Milliarden auf 340 Milliarden Euro steigen, kommt der der gesunde Menschenverstand relativ schnell zu der Erkenntnis, dass der allgemeine Beitragssatz schon lange nicht mehr marktgerecht ist.
Das nächste Problem: der Gesetzgeber lässt lieber Zusatzbeiträge steigen, um sich der (politischen) Verantwortung zu entziehen und auch den letzten Rest an Rücklagen bei den Krankenkassen abzuschöpfen. Um dies zu forcieren, mussten die Krankenkassen im Jahr 2023 sogar gut 2,5 Milliarden Euro zusätzlich aus Rücklagen an den Gesundheitsfonds abführen.
Damit dies überhaupt möglich wurde, hat der Gesetzgeber die Obergrenze an möglichen Rücklagen in den letzten Jahren immer weiter reduziert. Lagen die durchschnittlichen Finanzreserven der Krankernkassen im Jahr 2018 noch bei gut 108 Prozent einer Monatsausgabe, unterschreitet mittlerweile die durchschnittlichen Finanzreserve 2025 die gesetzliche Mindestreserve von 20 Prozent. Eine künstliche Subventionierung des eigenen Zusatzbeitragssatzes durch den Rückgriff auf Reserven ist daher 2025 bei so gut wie keiner Krankenkasse mehr möglich.
3. Auch Zusatzbeiträge gehen im Gesundheitsfonds ein und nicht bei der eigenen Krankenkasse
2009 wurde der Gesundheitsfonds eingeführt. Das Bundesamt für Soziale Sicherung verwaltet diesen als Sondervermögen zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Was selbst Berufspolitiker selten wissen: in ihn fließen nicht nur die Beiträge aus dem allgemeinen Beitragssatz – auch die Einnahmen aus dem Zusatzbeitrag werden hier gesammelt.
Aus dem Fonds erhalten die Krankenkassen dann Zuweisungen als Finanzmittel, um die Leistungen für ihre Versicherten zu bezahlen.
4. Zusatzbeiträge fließen nicht (immer) vollständig an die eigene Krankenkasse
Krankenkassen mit höherer Finanzkraft ihrer Mitglieder wie die BKK W&F müssen die Höhe des Zusatzbeitrages so kalkulieren, dass auf Basis des durchschnittlichen monatlichen Einkommens aller gesetzlich Versicherten (2024: 2552,12 Euro) die Ausgaben ihrer Mitglieder gedeckt werden.
Der Grund: Für die Kalkulation des Zusatzbeitragssatz einer Krankenkasse gibt der Gesetzgeber einen vollständigen Einkommensausgleich vor. Der Zusatzbeitrag deckt also die Lücke zwischen dem allgemeinen Beitragssatz und den tatsächlichen Kosten einer einzelnen Krankenkasse auf Basis des durchschnittlichen Einkommens aller gesetzlich Versicherten ab.
Das bedeutet auch: Die über den Durchschnitt hinausgezahlten Beiträge unserer Mitglieder kommen nicht der BKK W&F zu Gute. Sie werden über den Gesundheitsfonds an Krankenkassen mit unterdurchschnittlichem Einkommensniveau weitergeleitet – auch wenn diese dadurch einen geringeren Zusatzbeitrag anbieten können.
5. Der durchschnittliche Zusatzbeitrag bezieht sich nur auf die Einnahmen und Ausgaben eines Folgejahres
Der durchschnittliche Zusatzbeitrag ist in erster Linie Statistik. Der Berechnung liegt klassische Prozentrechnung zugrunde, um aus voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben den Fehlbetrag eines einzelnen Jahres zu ermitteln.
Da die Annahmen auf sehr vielen unterschiedlich auslegbaren Parametern beruhen, wird der durchschnittliche Zusatzbeitrag wird von einem Expertengremium bestimmt. Ihm gehören Fachleute des Bundesgesundheits- und des Finanzministeriums, des Bundesamts für soziale Sicherung und des Spitzenverbandes alles gesetzlichen Krankenkassen an. Er hat u.a. die Aufgabe, die beitragspflichtigen Einnahmen, die Ausgaben der Krankenkassen sowie die Zahl der gesetzlich Versicherten insgesamt zu schätzen. Darauf basierend erstellt er (nicht immer einvernehmlich) eine Prognose für das folgende Jahr. Diese Schätzung ist die Grundlage für alle Zahlungen aus dem Gesundheitsfonds und damit auch der Zuweisungen aus dem Zusatzbeitrag.
Für das Jahr 2024 belief sich diese Prognose auf knapp 314 Milliarden Euro, woraus sich ein durchschnittlicher Zusatzbeitrag von 1,7 Prozent ergab. Mittlerweile gehen die gleichen Experten von knapp 320 Milliarden Euro aus – eine Fehlschätzung um 6 Milliarden Euro ist bislang einzigartig. Die Folge: die Einnahmen der einzelnen Krankenkassen können mit den Ausgaben nicht mehr mithalten. Inwieweit sich die mehr als 341 Milliarden Euro (und damit nochmals um fast 22 Milliarden Euro steigende) Kostenschätzung für 2025 bewahrheiten wird, bleibt abzuwarten.
Klar ist aber: Fehlbeträge aus Vorjahren belasten die Haushaltsplanung des kommenden Jahres beitragssatzrelevant, wenn die gesetzliche Mindestrücklage von 20 Prozent einer Monatsausgaben unterschritten wurde.
Der Zusatzbeitrag einer Krankenkasse gilt nicht für jedes Mitglied der Krankenkasse
Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der Zusatzbeiträge bestimmt, dass für folgende Personengruppen immer der durchschnittliche Zusatzbeitrag gilt und der krankenkassenindividuelle für sie daher gar keine Relevanz hat, beispielsweise Personen, die Bürgergeld beziehen.
Diese Personengruppen können bei der Auswahl ihrer Krankenkasse den Preis daher – bis zu einer individuellen Statusänderung – komplett außer Acht lassen.
Ein geringerer Zusatzbeitrag erhöht die Steuerbelastung
Steuerlich werden alle Beiträge für eine gesetzliche Krankenversicherung angesetzt. Hierzu gehört auch der Zusatzbeitrag. Wer durch einen Wechsel weniger für die Krankenversicherung zahlt, muss daher einen höheren Bruttolohn versteuern. Das frisst einen Teil der erhofften Ersparnis wieder auf.
Fazit:
Wer seine Krankenkasse wechseln möchte, hat dabei in der Regel vor allem den Zusatzbeitrag als Qualitätsmerkmal im Blick. Dabei ist der Zusatzbeitrag eigentlich gar nicht so individuell ist wie gedacht. Seine Ermittlung beinhaltet vielfältige Schwachpunkte und Verzerrungen.
Beim Vergleich von Krankenkassen gibt es zudem noch mehr Aspekte, die für Versicherte wichtig sind:
Wer sich gut informiert entscheiden möchte, schaut sich am besten neben dem Leistungsspektrum auch die Leistungsbereitschaft einer Kasse an, zu der man Anhaltspunkte in (derzeit noch nicht verpflichtenden und daher nicht von jeder Krankenkasse veröffentlichten) jährlichen Transparenzberichten findet.