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Profisport : Kein Stress mit dem Stress
„Psychische Erkrankungen bedeuten nicht das Ende“

Female swimmer at the swimming pool.

Wettkampforientierter Leistungssport beinhaltet ein großes Potenzial zur körperlichen Entwicklung und zur Persönlichkeitsbildung. Er verlangt Sportlerinnen und Sportlern aber auch eine Menge ab – nicht nur körperlich. Psychische und soziale Belastungen können die psychische Gesundheit sowohl von Athletinnen und Athleten als auch von Trainerinnen und Trainern gefährden. Die Ex-Schwimmerin und Ärztin Petra Dallmann wünscht sich, dass Trainer genau hinschauen.

Sie betreuen am Universitätsklinikum Heidelberg seit 2012 eine sportpsychiatrische Sprechstunde für Leistungssportler. Warum ist ein Angebot nötig, das spezifisch auf die Bedürfnisse von Spitzensportlern zugeschnitten ist?

Ein Sportler mit psychischen Problemen kann natürlich zu jedem Psychiater gehen. Aber die Hemmschwelle ist hoch, so ein Angebot wahrzunehmen, denn Sport verkörpert erst einmal Fitness und Stärke. Wir hoffen, die Hemmschwelle mit unserem Angebot zu senken. Außerdem sind bei der Diagnostik spezifische Krankheitsbilder zu beachten, beispielsweise die Anorexia athletica oder das Übertrainingssyndrom. Für jemanden, der mit dem Leistungssport nichts zu tun hat, ist das schwerer zu erkennen. Man kann zu einem Leistungssportler in der Therapie auch nicht pauschal sagen: Machen Sie einmal einen Monat Pause, der Sport ist für Sie zu stressig. Das betrachten wir differenzierter. Der Sport kann verschiedene wichtige Funktionen haben, er gibt dem Tag Struktur, dem Leben einen Sinn. Außerdem ist es wichtig, den Sport auch bei der Behandlung zu berücksichtigen, zum Beispiel hinsichtlich der Nebenwirkungen von Medikamenten und der Antidopingliste.

Sind Leistungssportler gestresster als andere Menschen? Schließlich ist ihr Alltag durchgetaktet, sie müssen hart trainieren und haben oft noch berufliche Verpflichtungen. Da bleibt nicht viel Zeit für Freunde oder Urlaub …

Sportler haben natürlich einen volleren Wochenplan als viele andere Menschen. Das heißt aber nicht unbedingt, dass sie sich deshalb als gestresster erleben. Letztendlich geht es um das eigene Empfinden. Klar hat man weniger Zeit für Freunde oder Urlaub. Das heißt aber noch lange nicht, dass man sein Leben negativer bewertet. Laut wissenschaftlichen Belegen ist das Risiko von Leistungssportlern, an einer Depression zu erkranken, genauso hoch wie das von anderen Menschen. Die Annahme, Sportler seien nicht betroffen, weil sie als mental besonders stark gelten, ist falsch.

Wer kommt zu Ihnen in die Sprechstunde? Welche Probleme und Erkrankungen sind typisch?

Typisch sind Depressionen, Essstörungen, Angststörungen und vereinzelt Persönlichkeitsstörungen. Auch viele junge Athleten ab 15 Jahren melden sich in der Sprechstunde bzw. meist deren Eltern oder Trainer. Das war anfangs überraschend für mich. Deshalb arbeiten wir nun eng mit den Kollegen aus unserer Kinder- und Jugendpsychiatrie zusammen. Nicht alle kommen mit einer psychischen Erkrankung. Wenn es um Wettkampfangst oder Motivationsprobleme geht, vermittle ich auch weiter an einen Sportpsychologen.


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Petra Dallmann
Universitätsklinikum Heidelberg, Initiative Neue Qualität der Arbeit
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Weltrekord mit der 4-mal-100-Meter-Freistil-Staffel, Weltmeisterin, Olympia-Medaillengewinnerin – Petra Dallmann hat während ihrer Sportkarriere zahlreiche Erfolge erzielt. Parallel absolvierte sie ein Medizinstudium. 2009 zog Dallmann sich aus dem aktiven Leistungssport zurück . Sie arbeitet momentan als Assistenzärztin an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg.

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“Klar hat man weniger Zeit für Freunde oder Urlaub. Das heißt aber noch lange nicht , dass man sein Leben negativer bewertet.”


Leistungssportler gelten als besonders hart zu sich selbst und gehen oft bis an die Schmerzgrenze. Haben Sportler deshalb eher Probleme, Hilfe in Anspruch zu nehmen?

Ich denke schon, dass das Leid bei Sportlern ein bisschen größer sein muss als anderen Menschen, bevor sie sich melden. ‚Nur die Harten kommen in den Garten’ – so lebt man als Sportler. Man geht nicht wegen jedem Wehwehchen zum Arzt. Genauso sieht es mit der Psyche aus. Ich hatte nie das Gefühl, dass es sich bei den Problemen der Sportler, die sich melden, nur um Kleinigkeiten handelt. Eher denke ich, dass sich manch einer auch schon früher hätte melden können.

Wie können Trainer hier besser unterstützen?

Trainer haben eine wichtige Funktion. In den meisten Fällen sind sie ja eine ganz zentrale Vertrauensperson im Leben von Sportlern, die ihre Trainer manchmal öfter sehen als ihre Eltern. Trainern rate ich deshalb, genau hinzuschauen. Wenn sie Bedenken haben, sollten sie ihre Athleten motivieren, Hilfe aufzusuchen.

Manche Leistungssportler bringen im Wettkampf gute Leistungen und sind trotzdem behandlungsbedürftig. Wann ist ein Punkt gekommen, an dem man als Trainer die Bremse ziehen sollte?

Wenn Trainer an ihren Athleten beispielsweise wahrnehmen, dass sie sich nur noch wenig freuen, kraftlos sind, Schlaf- und Appetitstörungen haben, und das an mehreren Tagen hintereinander. Dann wäre für mich ein Punkt erreicht, den Athleten anzusprechen: dass man eine Veränderung wahrnimmt, man sich Sorgen macht. Dann erfährt man vielleicht, was dahintersteckt. Möglicherweise hat ja die Freundin vor zwei Wochen Schluss gemacht oder es gab eine schlechte Klausur. Wenn man aber merkt, der Athlet hat an nichts mehr Interesse und seine Stimmung bessert sich nicht in den nächsten Tagen, dann rate ich, externe Hilfe zu suchen. Bei Essstörungen, zum Beispiel wenn Sportler stark untergewichtig sind, müssen sie auch Konsequenzen ziehen, eine Trainingspause in Erwägung ziehen und eine Therapie beginnen. Die Anorexie ist eine Erkrankung, an der circa zehn Prozent der Betroffenen sterben. Das sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Was können Sie Trainern im Leistungssport noch mit auf den Weg geben?

Ich würde mir wünschen, dass Trainer ihre Hemmschwelle vor Psychiatern abbauen. Psychische Erkrankungen kann man gut behandeln, häufig lässt sich eine vollständige Heilung erzielen. Sie müssen nicht das Ende einer Sportlerkarriere bedeuten. Je nachdem, wie stark sie ausgeprägt sind, kann man trotzdem weitertrainieren. Es ist wichtig, den Trainer mit im Boot zu haben, um Erkrankungen früh zu erkennen und so die Heilungschancen zu erhöhen. Denn wir alle haben das Wohl des Athleten zum Ziel.

Jeden Morgen Frühtraining in der Halle, schnell in den Hörsaal, abends wieder Training – so sah lange auch Ihr Alltag aus. Das hat Sie belastbarer gemacht, sagen Sie. Welche positiven Auswirkungen kann der Leistungssport noch haben?

Die Zeit, in der ich Leistungssportlerin war, hat mir unglaublich schöne und intensive Momente meines Lebens beschert. Ich bin herumgekommen und durfte so viel erleben und lernen, auch ein gutes Zeitmanagement und mich gut zu organisieren. Wehleidig macht einen der Leistungssport sicher nicht, im Gegenteil: Man wird manchmal auch sehr hart zu sich. Vielleicht hier und da ein bisschen zu hart.

Copyright: psyga.info

Hinweis: Bitte beachten Sie, dass dieser Inhalt zwischenzeitlich veraltet sein könnte.

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