Arbeitsrecht - 18.10.2023

Erleichterte Einwanderung von Fachkräften

Der Fachkräftemangel ist zwar regional und branchenbezogen unterschiedlich stark ausgeprägt, aber fast alle Unternehmen bekommen ihn zu spüren. Die Bundesregierung will dem mit verschiedenen Maßnahmen entgegenwirken, u. a. mit der Erleichterung des Zuzugs von Fachkräften aus dem Ausland und hat das Fachkräfteeinwanderungsgesetz modifiziert. Die neuen Regelungen treten ab November 2023 schrittweise in Kraft.

Blaue Karte EU

Die Bertelsmann Stiftung hat errechnet, dass Deutschland im Zeitraum von 2018 bis 2035 pro Jahr 98.000 aus dem Ausland zugezogene Arbeitskräfte benötigt. In den folgenden Jahrzehnten steigt der Bedarf weiter auf bis zu 197.000 Personen pro Jahr. Bis 2060 ergibt sich daraus ein durchschnittlicher jährlicher Bedarf von 146.000 Arbeitskräften.

Ein wichtiger Zugang für Arbeitskräfte aus Drittstaaten in den europäischen und deutschen Arbeitsmarkt ist bereits heute die Blaue Karte EU. Die deutschen Regelungen werden ab November 2023 geändert und der Zugang erleichtert. Sowohl für Akademiker als auch für nicht studierte IT-Spezialisten besteht eine Gehaltsschwelle zur Aufnahme einer Arbeit in Deutschland, die nun gesenkt wird. Die erforderlichen Mindestentgelte betragen 45,3 Prozent der jährlichen allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung (39.682,80 EUR) für sog. Engpassberufe (das sind Berufe mit besonders hohem Fachkräftebedarf) und Berufsanfänger sowie 50 Prozent (43.800,00 EUR) für alle anderen Berufe.

Darüber hinaus ist die notwendige Dauer der nachzuweisenden Berufserfahrung auf zwei Jahre verkürzt worden, auf den Nachweis von Deutschkenntnissen wird künftig verzichtet. Weitere Änderung: Wer einen Abschluss hat, kann auch jede andere qualifizierte Beschäftigung ausüben, ist also nicht mehr an den Beruf, in dem die Qualifikation erworben wurde, gebunden. Ausnahmen gibt es allerdings bei bestimmten sog. regulierten Berufen (z. B. Ärzte, Apotheker).

Erleichtert wird auch der Wechsel von einem anderen EU-Land nach Deutschland, wenn bereits eine Blaue Karte EU von diesem Staat ausgestellt wurde. Ergänzend gibt es erleichterte Zuzugsmöglichkeiten für die Familienangehörigen eines Besitzers einer Blauen Karte EU.

Erleichterungen für den Zuzug

Neben den speziellen für die Blaue Karte EU geltenden Regelungen wurde eine Reihe weiterer Bestimmungen geändert, um den Zuzug von Fachkräften nach Deutschland zu erleichtern.

Asylbewerber

Asylbewerber, die vor dem 29. März 2023 eingereist sind und u. a. eine entsprechende Qualifikation und ein Arbeitsplatzangebot haben oder sich bereits in einem entsprechenden Arbeitsverhältnis befinden, können ihr Asylverfahren durch Antragsrücknahme beenden und eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft beantragen, ohne zuvor ausreisen und ein Visumverfahren durchlaufen zu müssen.

Arbeitskollegen mit Laptops in einer Besprechung
Pro.Sto/depositphotosID: 648879650

Berufspraktische Erfahrungen

Wer mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Ausland erworbenen und dort staatlich anerkannten Berufsabschluss hat, kann künftig als Fachkraft nach Deutschland kommen. Der Abschluss muss hier nicht mehr vorher anerkannt werden.

Mit der Gehaltsschwelle wird sichergestellt, dass diese Fachkräfte auch langfristig eine gute Perspektive auf dem Arbeitsmarkt haben. Wer das notwendige Mindestgehalt nicht erreicht, muss auch weiterhin seinen Berufsabschluss anerkennen lassen. Neu ist die Möglichkeit einer sog. Anerkennungspartnerschaft zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern. Damit können Personen aus Drittstaaten künftig erst einreisen und dann das gesamte Anerkennungsverfahren in Deutschland durchführen. Dazu verpflichten sich die angehende Fachkraft und ihr Arbeitgeber, die Anerkennung nach der Einreise zu beantragen und das Verfahren einschließlich Qualifizierung aktiv zu betreiben. Der Aufenthalt ist zunächst für ein Jahr möglich und kann auf bis zu drei Jahre verlängert werden.

Die Beschäftigung von Personen mit ausgeprägter berufspraktischer Erfahrung wird erweitert. Diese neue Regelung gilt für alle nicht-reglementierten Berufe in allen Branchen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen ist eine formale Anerkennung des Abschlusses in Deutschland nicht mehr erforderlich.

Neue Chancenkarte zur Jobsuche

Für Menschen aus Drittstaaten, die noch kein konkretes Arbeitsplatzangebot haben, aber Potenzial für den Arbeitsmarkt mitbringen, wird ab Juni 2024 eine Chancenkarte eingeführt. Sie ermöglicht die Einreise nach Deutschland, um vor Ort auf Arbeitsplatzsuche zu gehen und z. B. zunächst eine Probebeschäftigung für jeweils höchstens zwei Wochen oder eine Beschäftigung von durchschnittlich höchstens 20 Stunden in der Woche aufzunehmen. Sobald die Person einen festen Arbeitsplatz gefunden hat, kann sie einen entsprechenden Aufenthaltstitel zum Arbeiten bekommen.

Die Chancenkarte wird dann vergeben, wenn der Antragsteller mindestens sechs Punkte nach einem bestimmten Punktesystem aufweist. Zu den Kriterien der Punkteverteilung gehören Qualifikation, Deutsch- und Englischkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug, Alter und Potenzial der mitziehenden Lebens- oder Ehepartner. Folgende Punkte werden vergeben (Auszug):

  • bis zu 4 Punkte für bestimmte Berufsqualifikationen,
  • 3 Punkte für eine mindestens fünfjährige einschlägige Berufserfahrung,
  • 3 Punkte, wenn Deutsch auf Niveau B2 beherrscht wird,
  • 2 Punkte für eine mindestens zweijährige einschlägige Berufserfahrung,
  • 2 Punkte, wenn Deutsch auf Niveau B1 beherrscht wird, 
  • 2 Punkte für Lebensalter bis 35 Jahre,
  • 1 Punkt für Lebensalter bis 40 Jahre,
  • 1 Punkt, wenn Englisch auf Niveau C1 beherrscht wird,
  • 1 Punkt für Mangelberufe,
  • 1 Punkt, wenn der Betroffene in den vorangegangenen fünf Jahren schon mindestens sechs Monate rechtmäßig in Deutschland gelebt hat.

Die Chancenkarte wird für längstens ein Jahr erteilt. Zwingende Voraussetzung ist, dass der Lebensunterhalt für diese Zeit gesichert ist. Für Personen, die nach einem Jahr keine andere Arbeitserlaubnis bekommen, aber ein Angebot für eine qualifizierte Beschäftigung haben, kann die Chancenkarte um weitere zwei Jahre verlängert werden. Das Erreichen der notwendigen Punktzahl führt nicht automatisch zur Ausstellung der Chancenkarte. Die Entscheidung wird für jeden Einzelfall bei dem jeweiligen Konsulat bzw. der Botschaft getroffen.

Balkanregelung entfristet

Die sog. Westbalkan-Regelung wird ab Juni 2024 entfristet und das Kontingent verdoppelt. Damit dürfen künftig jährlich bis zu 50.000 Staatsangehörige aus den Westbalkanstaaten nach Deutschland zuwandern. Dazu gehören die Länder

  • Albanien,
  • Bosnien und Herzegowina,
  • Kosovo,
  • Montenegro,
  • Nordmazedonien und
  • Serbien.

Staatsangehörige aus diesen Ländern können für jede Beschäftigung nach Deutschland einreisen, ohne berufliche Qualifikationen nachweisen zu müssen.

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