Sozialversicherung - 12.12.2022

AU-Bescheinigung jetzt verpflichtend digital

Ab 2023 wird der elektronische Datenaustausch der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (eAU) auch für Arbeitgeber verpflichtend. Damit dies gelingen kann, muss das Vorverfahren mit den Ärzten reibungslos funktionieren. Der aktuelle Umsetzungsstand sowie die sich auf Folgeprozesse ergebenden Auswirkungen sollen nachfolgend beleuchtet werden.

Holpriger Start mit gutem Finish

Bereits seit Beginn des Jahres 2021 sollten nach Wunsch des Gesetzgebers keine Papierbescheinigungen für die Krankenkassen mehr von den Ärzten ausgestellt werden. Stattdessen sollte die Übermittlung digital über die Telematikinfrastruktur erfolgen. Bei einem solchen Massenverfahren wie der AU-Bescheinigung mit ca. 77 Mio. zu digitalisierenden Bescheinigungen im Jahr ist das kein leichtes Unterfangen, zumal mit der Umsetzung der eAU gleich mehrere von den Ärzten bisher kaum oder gar nicht genutzte technische Komponenten in den Praxisalltag und die Praxisverwaltungssysteme integriert werden sollten. Gepaart mit pandemiebedingten Mehrbelastungen waren Verzögerungen und ein verspäteter Start nicht zu vermeiden.

Im Oktober 2021 erfolgte der Start der eAU und seitdem ist es Ärzten möglich, die festgestellten AU-Zeiten den Krankenkassen digital zur Verfügung zu stellen. Tatsächlich wurden aufgrund der weiterhin bestehenden Belastungen der Ärzte durch die erneut aufflammende Pandemie sowie die weiterhin noch nicht abgeschlossene technische Ausstattung und Integration der Komponenten in den Praxen nur kleine Anteile der tatsächlich ausgestellten AU-Bescheinigungen elektronisch an die Krankenkassen übermittelt, weshalb die obligatorische Umsetzung nochmals bis zum 1. Januar 2022 verschoben wurde.

Am Jahresanfang 2022 konnten dann erste Erfolge verzeichnet werden, denn es wurden in einem Monat mehr als eine Million eAU erfolgreich von den Ärzten an die Krankenkassen übermittelt. Die Zahlen lagen aber noch weit unterhalb des eigentlichen Ziels der vollständigen digitalen Übermittlung, was sicherlich größtenteils auf eine technische Richtlinie der Ärzte zurückzuführen war. Diese sah einseitig eine weitere Übergangsfrist bis zum 30. Juni 2022 vor, in welcher ein Festhalten am herkömmlichen Verfahren ermöglicht wurde.

Seit dem Wegfall dieser Richtlinie im Sommer ist nunmehr ordentlich Verkehr auf der Datenautobahn. Waren es im Juli bereits um die 1,5 Mio. eAU pro Woche, sind es aktuell bis zu 2,7 Mio. Eine vollständige Übermittlung seitens der Vertragsärzte scheint daher bis spätestens zum Jahresende weitgehend sichergestellt. Sollte die Übermittlung dennoch aus verschiedensten Gründen scheitern, ist weiterhin ein manuelles Ersatzverfahren vorgesehen. Die auf diesem Weg bei den Krankenkassen eingehenden Papierbescheinigungen werden digitalisiert und bei Abforderung den Arbeitgebern als eAU zur Verfügung gestellt.

Auswirkungen auf das Arbeitgeberverfahren

Die AU-Bescheinigung ist bekanntlich auch Basis der Entgeltfortzahlung und muss den Arbeitgebern bei einer krankheitsbedingten Abwesenheit aktuell noch durch die Mitarbeiter vorgelegt werden. Dies sollte sich ebenfalls bereits zum 1. Januar 2022 geändert haben, jedoch war aufgrund der wiederholten Verzögerungen im eAU-Verfahren zwischen den Ärzten und Krankenkassen auch hier eine Verlegung des Verfahrensstarts erforderlich.

Nach dem Willen des Gesetzgebers ist die eAU nunmehr auch von den Arbeitgebern ab dem 1. Januar 2023 obligatorisch einzusetzen. Ab diesem Zeitpunkt entfällt die bisher im Entgeltfortzahlungsgesetz vorgesehene Vorlagepflicht gesetzlich krankenversicherter Arbeitnehmer. Sie wird durch die auf Anfrage des Arbeitgebers verpflichtende Übermittlung dieser Arbeitsunfähigkeitszeiten durch die Krankenkassen ersetzt.

Die Umsetzung der eAU wirft daher auch hier ihre Schatten voraus und hält die eine oder andere Hausaufgabe für Arbeitgeber parat. So muss zukünftig aus der Mitteilung des Mitarbeiters über die Abwesenheit abgeleitet werden, ob und wann ein Abruf bei der Krankenkasse im eAU-Verfahren erfolgen kann bzw. darf. Zusätzlich müssen nicht selten Schnittstellen angepasst und die Kommunikation z. B. mit Steuerberatern optimiert werden, weil die eingehenden Informationen letztendlich in dem für den Datenabruf verwendeten Programm vorliegen müssen.

Verbleibende Pilotierungsphase nutzen

Weil der gesetzlich vorgesehene aktive Abruf durch den Arbeitgeber bei der Krankenkasse vielfältige organisatorische Auswirkungen für die Arbeitgeber hat, besteht bereits seit Januar 2022 die Möglichkeit, das Verfahren zu testen. Die Entscheidung ist für die Arbeitgeber optional, während die Hersteller von Entgeltabrechnungsprogrammen grundsätzlich bereits seit Anfang des Jahres zur Umsetzung verpflichtet sind.

Auch hier hat sich bereits gezeigt, dass das Verfahren technisch funktioniert. Wurden im Januar 2022 noch ca. 80.000 Datensätze von den Arbeitgebern abgerufen, waren es im Oktober bereits fast 500.000 Datensätze. Da im Rahmen der Pilotierung oft nur für einzelne Bereiche eines Unternehmens Daten angefragt werden, um die Funktionalität zu testen, sind diese Werte zwar nicht repräsentativ für die Anzahl der teilnehmenden Arbeitgeber, jedoch scheint bei aktuell 2,7 Mio. von den Ärzten an die Krankenkassen übermittelten eAU pro Woche noch erheblich Potenzial zu bestehen. So wird an dieser Stelle noch einmal dringend auf die Möglichkeit zur Nutzung der Pilotierungsphase hingewiesen. Denn wer jetzt testet, erlebt ab Januar 2023 kein böses Erwachen. 

Praxistipp

Bei all den organisatorischen Planungen und Umstellungen in den Unternehmen sollte nicht vergessen werden, auch die Mitarbeiter zu informieren. Das seit Jahrzehnten gelebte Verfahren zur Krankmeldung ändert sich und sollte nicht zu Irritationen führen. Daher empfiehlt sich eine zeitnahe Mitarbeiterinformation, in der das neue Verfahren und die zukünftig im Prozess des Arbeitgebers vorgesehenen Erwartungen dargestellt werden. Denn auch in Bezug auf die eAU gilt: je besser die Informationen, desto weniger Nacharbeit für die Personalabteilung.

Ablauf des Vorerkrankungsverfahrens

Ziel der eAU ist es nicht nur, die Papierbescheinigung zu ersetzen, sondern bisherige Probleme in Folgeprozessen zu beseitigen. Lag die AU-Bescheinigung der Krankenkasse nicht vor, weil der Versicherte ihr diese nicht eingereicht hatte, war eine Prüfung der nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz auf die Dauer der Entgeltfortzahlung anrechenbaren Vorerkrankungen durch die Krankenkasse nicht möglich. Die sich durch das sog. Vorerkrankungsverfahren ergebenden nachträglichen Anforderungen und damit verbundenen Verzögerungen im Verfahren sollen daher durch die Umsetzung der eAU gleichzeitig der Vergangenheit angehören.

Datenaustausch Entgeltersatzleistung

Im Zusammenhang mit der Einführung der eAU wurde nicht nur die Problematik der fehlenden AU-Daten gesetzgeberisch aufgegriffen, sondern auch das Vorerkrankungsverfahren angepasst. So war gesetzlich vorgesehen, dass die Krankenkassen bei Eingang einer eAU aktiv prüfen sollten, ob auf Grundlage der Angaben zur Diagnose oder weiterer ihr vorliegender Daten die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wegen anrechenbarer Vorerkrankungszeiten ausläuft. Die gesetzliche Regelung von vor Einführung der eAU besteht jedoch ebenfalls weiterhin fort, weshalb eine Umsetzung des Vorerkrankungsverfahrens gesetzlich sowohl im Datenaustausch Entgeltersatzleistungen (DTA EEL) als auch in einem Verfahren im Zusammenhang mit der eAU vorgesehen ist.

In Abstimmung mit den Arbeitgebervertretern und dem Bundesarbeitsministerium wurde sich letztendlich dafür ausgesprochen, im Ergebnis nur ein Vorerkrankungsverfahren abbilden zu wollen. Da durch die Umsetzung der eAU die bisherigen Probleme mit dem Vorerkrankungsverfahren wohl weitgehend gelöst werden, wurde vereinbart, das bisherige Verfahren im DTA EEL beizubehalten und im Rahmen eines nächsten Gesetzgebungsverfahrens die Rechtsgrundlage wieder zurückzuführen. Dies bedeutet, dass auch zukünftig anrechenbare Vorerkrankungen nur auf Anfrage der Arbeitgeber durch die Krankenkassen im DTA EEL übermittelt werden.

Zeitraum für Prüfung von Vorerkrankungen

In der Praxis treten immer wieder Irritationen dahingehend auf, wie weit zurückliegende AU-Zeiträume denn überhaupt für die Vorerkrankungsprüfung wichtig sein können. Nach vielfacher Meinung können schließlich lediglich Vorerkrankungen innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten berücksichtigt werden, weshalb auch nur die AU-Zeiten der letzten zwölf Monate relevant sein können.

Tatsächlich sind aber teilweise weit darüber hinausgehende AU-Zeiten für eine korrekte Vorerkrankungsprüfung erforderlich, wenn zwischen dem Ende der vorhergehenden Arbeitsunfähigkeit und dem Beginn der nachgehenden Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit jeweils nicht mindestens sechs Monate vergangen sind. Dann sind alle Vorerkrankungen für die Prüfung erforderlich, bis zurückgehend zur erstmalig bescheinigten Arbeitsunfähigkeit. Bei chronischen Krankheiten kann die Ersterkrankung teilweise mehrere Jahre zurückliegen. Ausgehend von dieser sind nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz Zwölf-Monats-Fristen zu bilden, innerhalb welcher der Arbeitgeber jeweils verpflichtet ist, sechs Wochen Entgeltfortzahlung zu leisten.

Damit der Arbeitgeber diese Prüfung zukünftig besser nachvollziehen kann, wird das Vorerkrankungsverfahren mit Start der Version 11 des DTA EEL zum 1. Januar 2023 dahingehend erweitert, dass ihm der für die aktuelle Arbeitsunfähigkeit maßgebende Beginn der Zwölf-Monats-Frist zusätzlich mitgeteilt wird.

Fünf Praxis-Fragen zur eAU

Was passiert, wenn der Arzt Arbeitsunfähigkeit feststellt und die Daten auch an die Krankenkasse übermittelt, der Arbeitnehmer aber trotzdem arbeitet oder die Arbeit früher wieder aufnimmt?

Es gilt das Gleiche wie bisher auch: Die AU-Bescheinigung stellt kein Beschäftigungsverbot dar und der Arbeitnehmer kann die Arbeit wieder aufnehmen (unter Beachtung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers). Eine gesonderte Meldung ist hierzu im Datenaustauschverfahren bisher noch nicht vorgesehen.

Wird ein Arbeitnehmer stationär behandelt, bekommt der Arbeitgeber die sog. Liegebescheinigung häufig erst nach der Entlassung aus dem Krankenhaus. Wie frühzeitig können Krankenhauszeiten jetzt elektronisch angefordert werden?

Der Arbeitgeber kann die Krankenhauszeiten abrufen, sobald der Krankenkasse die Aufnahmemitteilung vom Krankenhaus vorliegt. Daher ist der Datenabruf sehr zeitnah nach der Aufnahme des Patienten (analog der eAU) möglich.

Können der Arbeitgeber (mit sv.net und/oder Entgeltabrechnungsprogramm) und der Steuerberater parallel ein und dieselben AU-Daten abfragen?

Ja. Lediglich ein Mehrfachabruf aus demselben System ist 14 Tage lang unterbunden, da hier die Krankenkassen den Eingang einer passenden Arbeitsunfähigkeitszeit für die bereits vorliegende AU-Anfrage selbstständig prüfen.

Wie funktionieren Abfrage und Rückübermittlung bei Arbeitsunfähigkeit zum Zeitpunkt
a) eines Krankenkassenwechsels und
b) eines Arbeitgeberwechsels?

Die Abläufe weichen in beiden Fällen nicht vom normalen Verfahren ab:
zu a) In diesem Fall kann es zu zeitlichen Verzögerungen kommen, wenn die neueste Arbeitsunfähigkeit bei der neuen Krankenkasse noch nicht vorliegt oder der Versicherte die alte Gesundheitskarte genutzt hat.
zu b) In diesem Fall kann der neue Arbeitgeber für die Zeit des bei ihm bestehenden Beschäftigungsverhältnisses die eAU abrufen, sobald der neue Mitarbeiter bei ihm im System erfasst ist. Da ein Mehrfachabruf derselben eAU durch unterschiedliche Adressaten möglich ist, ist dies unproblematisch.

Der Arzt ergibt sich nicht (mehr) aus den AU-Daten. Aber wie verfährt der Arbeitgeber, wenn er die Angaben für andere Stellen benötigt (z. B. Unfallanzeige)?

Die Angaben zum Arzt waren auch bisher datenschutzrechtlich durchaus angreifbar. Dass es sich um einen Arbeitsunfall handelt, ergibt sich aus dem entsprechenden Feld („Arbeitsunfall“ oder „Berufskrankheit“). Auch Krankenhauszeiten sind nachvollziehbar, weil diese in separaten Feldern gemeldet werden. Alle anderen Meldungen sind demnach eAU von Vertragsärzten. Den Wechsel eines Arztes kann man aus direkt aufeinanderfolgenden Erstbescheinigungen ableiten. Im Übrigen bleibt nur das Nachfragen beim Mitarbeiter oder seiner Krankenkasse.

Hinweis: Bitte beachten Sie, dass dieser Inhalt zwischenzeitlich veraltet sein könnte.

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