Sozialversicherung - 09.11.2022

Aktuelle Änderungen bei Mini- und Midijobs

Zum 1. Oktober 2022 sind neue gesetzliche Regelungen zu geringfügig entlohnten Beschäftigungen (sog. Minijobs) und Beschäftigungen im Übergangsbereich (sog. Midijobs) in Kraft getreten. Neben der Einführung der dynamischen Geringfügigkeitsgrenze, wurde auch der Übergangsbereich ausgeweitet. Dies hat zahlreiche Auswirkungen auf die betriebliche Praxis.

Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze

Die monatliche Entgeltobergrenze bei geringfügig entlohnten Beschäftigungen ist von 450,00 auf 520,00 EUR angehoben worden. Gleichzeitig wurde die obere Entgeltgrenze bei Beschäftigungen im Übergangsbereich von 1.300,00 auf 1.600,00 EUR angehoben. Außerdem ergeben sich Auswirkungen auf die Möglichkeit des zulässigen Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze sowie die beitragsrechtliche Beurteilung und Beitragslastverteilung im Übergangsbereich. Für Beschäftigungen mit einem Entgelt von 450,01 bis 520,00 EUR gelten zudem befristete Übergangsregelungen.

Neu ist eine gesetzliche Regelung für das unvorhersehbare Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze, die ebenfalls zum 1. Oktober 2022 in Kraft getreten ist. Bislang ergaben sich Hinweise zum Umgang mit solchen Sachverhalten nur aus den Geringfügigkeits-Richtlinien.

Grundsätzlich gilt: Überschreitet der durchschnittliche Monatsverdienst eines Arbeitnehmers die Geringfügigkeitsgrenze von 520,00 EUR, liegt keine geringfügig entlohnte Beschäftigung mehr vor. Ausgenommen hiervon sind nur gelegentliche, nicht vorhersehbare Überschreitungen. An diesem Grundsatz ändert sich auch zukünftig nichts.

Als gelegentlich wurde bisher – angelehnt an die Zeitgrenze der kurzfristigen Beschäftigungen – ein Zeitraum von bis zu drei Kalendermonaten innerhalb eines Zeitjahres angesehen. Die Geringfügigkeitsgrenze konnte also dreimal überschritten werden. Die Verdiensthöhe der Minijobber in den Monaten des unvorhersehbaren Überschreitens war dabei bislang unbeachtlich.

Die neue gesetzliche Regelung zum unvorhersehbaren Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze sieht Folgendes vor:

  • Überschreitungen in einzelnen Kalendermonaten sind generell unschädlich, solange dadurch die Jahresentgeltgrenze von 6.240,00 EUR nicht überschritten wird.
  • Anstelle von drei Kalendermonaten wird ein Zeitraum von zwei Kalendermonaten innerhalb eines Zeitjahres (vom letzten Tag des zu beurteilenden Beschäftigungsmonats ein Jahr zurück) als gelegentlich angesehen.
  • Der maximal mögliche Verdienst in den beiden Monaten der Überschreitung wird gesetzlich gedeckelt. Der Verdienst je Kalendermonat der Überschreitung darf maximal das Doppelte der Geringfügigkeitsgrenze betragen, also 1.040,00 EUR. Auf Jahressicht ist damit ein maximaler Verdienst bis zur 14-fachen Geringfügigkeitsgrenze möglich. Ein Minijobber darf also grundsätzlich 6.240,00 EUR über 12 Monate und im begründeten Ausnahmefall höchstens 7.280,00 EUR verdienen.

Praxistipp

Die Neuerungen betreffen hauptsächlich die geringfügig entlohnten Beschäftigungen. Bei kurzfristigen Beschäftigungen ist jetzt lediglich im Rahmen der Prüfung der Berufsmäßigkeit anstelle von bisher 450,00 EUR im Monat auf die Geringfügigkeitsgrenze abzustellen; also seit dem 1. Oktober 2022 auf 520,00 EUR.

Beispiel

Sachverhalt:

Eine Verkäuferin nimmt am 1. Januar 2023 eine Beschäftigung in einer Bäckerei auf. Sie erhält ein monatliches Arbeitsentgelt in Höhe von 520,00 EUR. Im März und April 2023 muss sie aufgrund eines unvorhersehbaren krankheitsbedingten Ausfalls für eine Kollegin einspringen und deren Schichten zusätzlich übernehmen. Dadurch erhöht sich ihr monatliches Arbeitsentgelt auf jeweils 1.040,00 EUR.

Beurteilung:

Es liegt ein gelegentliches und unvorhersehbares Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze in zwei Kalendermonaten vor. Darüber hinaus ist der Verdienst in den Monaten der Überschreitung nicht höher als die doppelte Geringfügigkeitsgrenze. Die Beschäftigung ist deshalb durchgehend als geringfügig entlohnte Beschäftigung zu beurteilen.

Fortsetzung des Sachverhalts:

Ende Mai 2023 wird die Verkäuferin erneut wider Erwarten gebeten, vom 1. Juni bis zum 30. Juni 2023 zusätzlich eine Krankheitsvertretung zu übernehmen. Dadurch erhöht sich das Arbeitsentgelt im Juni auf 1.040,00 EUR. Ab 1. Juli 2023 wird wieder laufend das vertraglich vereinbarte Arbeitsentgelt von 520,00 EUR monatlich gezahlt.

Beurteilung:

Die Verkäuferin wird im Juni 2023 sozialversicherungspflichtig, weil innerhalb des Zeitjahres (1. Juli 2022 bis 30. Juni 2023) bereits in den Monaten März und April 2023 Überschreitungen vorgelegen haben. Im Monat Juni 2023 liegt somit kein gelegentliches Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze mehr vor. Ab 1. Juli 2023 handelt es sich wieder um eine geringfügig entlohnte Beschäftigung, weil das regelmäßige monatliche Arbeitsentgelt von diesem Zeitpunkt an die Geringfügigkeitsgrenze nicht mehr überschreitet.

Übergangsregelung

Arbeitnehmer mit einem regelmäßigen monatlichen Arbeitsentgelt in Höhe von 450,01 bis 520,00 EUR waren bislang im Übergangsbereich sozialversicherungspflichtig. Seit dem 1. Oktober 2022 sind solche Beschäftigungen aufgrund der Erhöhung der Geringfügigkeitsgrenze grundsätzlich kranken-, pflege- und arbeitslosenversicherungsfrei.

Für diese Fälle wurde eine Übergangsregelung eingeführt. Längstens bis zum 31. Dezember 2023 besteht weiterhin Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Die Betroffenen können sich aber auf Antrag beim Arbeitgeber von der Versicherungspflicht befreien lassen. Dann wird die Beschäftigung wie eine „reguläre“ geringfügig entlohnte Beschäftigung behandelt. In der Kranken- und Pflegeversicherung besteht die Versicherungspflicht nur dann weiter, wenn kein Anspruch auf Familienversicherung gegeben ist. Die Übergangsregelung soll Arbeitnehmern mit einem regelmäßigen monatlichen Arbeitsentgelt in Höhe von 450,01 bis 520,00 EUR, die bewusst eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und keine geringfügig entlohnte Beschäftigung ausüben möchten, Bestandsschutz einräumen.

Befreiungsanträge sind bis zum 2. Januar 2023 (Fristverlängerung wegen des Wochenendes) beim Arbeitgeber zu stellen, dann wirken sie rückwirkend zum 1. Oktober 2022. Wurden in der Krankenversicherung nach dem 30. September 2022 Leistungen in Anspruch genommen, tritt die Befreiung (auch in der Pflegeversicherung) erst vom Beginn des Kalendermonats nach dem Monat der Antragstellung ein. In der Kranken- und Pflegeversicherung ist nach dem 2. Januar 2023 keine Befreiung mehr möglich. Die Befreiung setzt im Übrigen das Bestehen eines anderweitigen Versicherungsschutzes voraus. In der Arbeitslosenversicherung wirkt der Antrag bei einer späteren Erklärung auch noch mit Beginn des Folgemonats nach der Antragstellung.

Die Arbeitgeber können es in den Übergangsfällen ausnahmsweise vorübergehend mit zwei Einzugsstellen zu tun bekommen. In der gesetzlichen Rentenversicherung liegt ein Minijob vor, daher ist die Minijob-Zentrale zuständig. In der Kranken-, Pflege- und/oder Arbeitslosenversicherung ist die Zuständigkeit der Krankenkasse gegeben. DEÜV-Meldungen sind in jedem Fall zu erstatten, denn der Personengruppenschlüssel lautet immer einheitlich „109“. Der Beitragsgruppenschlüssel variiert abhängig davon, ob Versicherungspflicht in den einzelnen Versicherungszweigen besteht oder eine Befreiung beantragt wird bzw. in der Kranken- und Pflegeversicherung die Voraussetzungen für eine Familienversicherung erfüllt sind.

Bei fortbestehender Kranken-, Pflege- und/oder Arbeitslosenversicherungspflicht gelten für die Beitragsberechnung die bis 30. September 2022 maßgebenden Regelungen weiter. Das bedeutet, die besondere Beitragsberechnung und -tragung im Übergangsbereich ist weiterhin anzuwenden. Der Faktor in der Berechnungsformel, der sich aus der jeweils aktuellen Höhe des Gesamtsozialversicherungsbeitragssatzes für das entsprechende Kalenderjahr ergibt, wird für 2023 vom Bundesgesundheitsministerum an die aktuellen Gegebenheiten angepasst.

Praxistipp

In der Rentenversicherung besteht in den Übergangsfällen weiterhin Versicherungspflicht, nunmehr aufgrund einer geringfügig entlohnten Beschäftigung – mit den bekannten Befreiungsregelungen.

Beispiel

Sachverhalt:
Eine ledige Aushilfe ist seit Jahren in einer Bäckerei beschäftigt. Sie erhält ein monatliches Arbeitsentgelt von 490,00 EUR.

Beurteilung:
Die Beschäftigung war bis zum 30. September 2022 sozialversicherungspflichtig. Durch die Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze auf 520,00 EUR zum 1. Oktober 2022 ist die Beschäftigung ab diesem Zeitpunkt dem Grunde nach als geringfügig entlohnte Beschäftigung zu beurteilen. Aufgrund der Übergangsregelungen bleibt die Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherungspflicht aber bis längstens zum 31. Dezember 2023 bestehen, es sei denn, die Aushilfe stellt bei ihrem Arbeitgeber einen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht.

Änderungen im Übergangsbereich

Neben der Erhöhung der Geringfügigkeitsgrenze wurde zum 1. Oktober 2022 auch der sich daran anschließende Übergangsbereich ausgeweitet, und zwar von 1.300,00 auf 1.600,00 EUR. Neu ist seit dem 1. Oktober 2022 auch die Berechnungssystematik für die Ermittlung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge im Übergangsbereich. So sind u. a. neue Formeln für die Beitragsberechnung eingeführt worden.

Für Arbeitnehmer, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung mit einem regelmäßigen Arbeitsentgelt im Übergangsbereich ausüben, gelten besondere Regelungen für die Ermittlung der Beitragsbemessungsgrundlage sowie für die Beitragstragung zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Sie zahlen aufgrund dieser Besonderheiten verhältnismäßig geringere Gesamtsozialversicherungsbeiträge als normalerweise. Bis zum 30. September 2022 waren die Beitragsanteile der Arbeitgeber im Übergangsbereich (450,01 bis 1.300 EUR) dieselben wie bei Beschäftigungen mit einem höheren Arbeitsentgelt.

Neue Berechnungssystematik

Für die Ermittlung der Arbeitgeberanteile im Übergangsbereich wird eine neue Systematik mit zwei verschiedenen Berechnungsformeln eingeführt. Arbeitgeber zahlen dadurch seit dem 1. Oktober 2022 nicht mehr den regulären Beitragsanteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag, sondern es wird ein linearer Tarif eingeführt:

  • Der Arbeitgeberbeitrag oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze von 520,00 EUR wird zum einen angeglichen an die für einen Minijob zu leistenden Pauschalbeiträge in Höhe von 28 Prozent. Aufgrund der bisherigen Regelungen zum Übergangsbereich war die Belastung des Arbeitgebers bei einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im unteren Übergangsbereich mit ca. 20 Prozent geringer.
  • Zum anderen wird der Gesamtsozialversicherungsbeitrag bis zur oberen Grenze des Übergangsbereichs von 1.600,00 EUR gleitend auf den regulären Anteil des Arbeitgebers am Gesamtsozialversicherungsbeitrag von ca. 20 Prozent abgeschmolzen.

Für die betriebliche Praxis bedeutet dies: Am unteren Ende des Übergangsbereichs werden Arbeitgeber im Vergleich zur bisherigen Regelung stärker belastet. Am oberen Ende des Übergangsbereichs gleicht sich die Beitragslast an den regulär für sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen zu leistenden Arbeitgeberanteil an.

Praxistipp

Mit dem Entlastungspaket III der Bundesregierung ist eine weitere Ausweitung des Übergangsbereichs zum 1. Januar 2023 auf monatlich 2.000,00 EUR geplant. Einzelheiten hierzu lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor.

Beispiel

Sachverhalt:
Ein teilzeitbeschäftigter Forstwirt erzielt ein regelmäßiges Arbeitsentgelt in Höhe von 1.000,00 EUR pro Monat. Der Übergangsbereich findet Anwendung.

Beurteilung:
Beitragsberechnung (exemplarisch nur zur Arbeitslosenversicherung) nach der alten und der neuen Regelung:

Alte Regelung (September 2022)

Beitragspflichtige Einnahme960,44 EUR
Gesamtbeitrag(960,44 EUR x 1,2 %) x 2 = 23,06 EUR
Arbeitgeberanteil aus 1.000,00 EUR12,00 EUR
Arbeitnehmeranteil23,06 EUR – 12,00 EUR = 11,06 EUR

Neue Regelung (Oktober 2022)

Beitragspflichtige Einnahme (Formel 1)913,59 EUR
Gesamtbeitrag(913,59 EUR x 1,2 %) x 2 = 21,92 EUR
Beitragspflichtige Einnahme (Formel 2)711,11 EUR
Arbeitgeberanteil aus 1.000,00 EUR711,11 EUR x 1,2 % = 8,53 EUR
Arbeitnehmeranteil21,92 EUR – 8,53 EUR = 13,39 EUR

Auswirkungen für Arbeitnehmer

Bislang war der Übergang von einer geringfügig entlohnten Beschäftigung in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im unteren Übergangsbereich für Arbeitnehmer eher unattraktiv. Seit 1. Oktober 2022 werden sie noch stärker entlastet als bisher, um die Grenzbelastung beim Übergang in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu glätten. Damit sollen die Anreize für geringfügig Beschäftigte erhöht werden, ihre Arbeitszeit über den Minijob hinaus auszuweiten. Die Neuregelung bewirkt, dass der Beitragsanteil der Arbeitnehmer an der unteren Grenze des Übergangsbereichs annähernd null ist und bis zur Obergrenze von 1.600,00 EUR linear auf den regulären Arbeitnehmeranteil von ca. 20 Prozent ansteigt.

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