Die nächste Ausgabe erscheint am 01.07.2024.

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Das Magazin der BKK WIRTSCHAFT & FINANZEN

Herausforderungen und Überraschungen

Karriere

100 Tage im Amt

Für Politikerinnen und Politiker einer neuen Regierung sind die ersten 100 Tage eine Art „Schonzeit, erst danach wird ihre Arbeit erstmals bewertet. Seit Ende August 2023 bei der BKK WIRTSCHAFT & FINANZEN als Vorständin im Amt ist Maribel Soto Sobrino-Bahri. Ein Gespräch über Herausforderungen und Überraschungen.

Frau Soto Sobrino-Bahri, Sie sind nun drei Monate im Amt – wie fühlen Sie sich in Ihrer neuen Rolle?

Soto Sobrino-Bahri: Ich fühle mich sehr wohl – was natürlich auch daran liegt, dass ich nach mittlerweile 7 Jahren nicht wirklich neu im Unternehmen bin und auf ein tolles Team zählen kann. Die letzten Monate waren aber definitiv eine sehr intensive Zeit für mich, wobei ich für mich keinen großen Unterschied zwischen der interimsweisen Übernahme des Amtes Ende Mai und den letzten drei Monaten als gewählte Vorständin mache.

Ganz gleich, ob nun 3 oder 6 Monate, wie fällt Ihre ganz persönliche Bilanz bisher aus?

Soto Sobrino-Bahri: Wenn man wirklich eine Art Bilanz ziehen möchte ist mir die Mitarbeiterbrille sehr wichtig, für die man sogar eine noch etwas längere Zeitspanne Revue passieren lassen muss.  Spätestens mit der schnell öffentlich bekannt gewordenen Cyberattacke im April auf unser Rechenzentrum, einen IT-Dienstleister für immerhin mehr als 80 Prozent der gesetzlichen Krankenkassen, hatte ein externer Faktor großen Einfluss auf unsere Arbeit. Von jetzt auf gleich wurden damals wesentliche IT-System aus – wie wir heute wissen wirklich nur – Vorsichtsgründen abgeschaltet, über mehrere Wochen waren wir im Anschluss wieder in einer Zeit ohne wesentliche EDV angekommen. Auch wenn wir uns wirklich sehr schnell so organisiert hatten, dass alternative Kontaktkanäle zur Verfügung standen und wir auch unseren Zahlungsverpflichtungen durch Vorausschau und den guten alten Gang zur Bank weiter nachkommen konnten, haben wir auch hier unseren Mitarbeitenden einiges abverlangt. Als sich dann alles wieder beruhigt hatte, musste ich die Amtsgeschäfte als damalige Vertreterin des Alleinvorstands übernehmen. Aber auch damit haben sich die Mitarbeitenden aber nicht lange aufgehalten und stattdessen dafür gesorgt, dass sich keine Auswirkungen für unsere Versicherten ergaben. Alles in allem eine sehr herausfordernde Zeit, die wir durch gute Zusammenarbeit bestmöglich überstanden haben.

Was hat Sie in den letzten Monaten am meisten positiv überrascht?

Soto Sobrino-Bahri: Dass das nur zwischen meinem Vertreter Thorben Weichgrebe und mir abgestimmte und bei der jüngsten Betriebsversammlung vorgestellte Angebot #gerneperdu zu sehr gemischten Reaktionen geführt hat (lacht).

Inwiefern?

Soto Sobrino-Bahri: Wir hatten uns schon länger mit dem Gedanken befasst, die interne Kommunikation zu optimieren. Dabei spielte auch dieses in vielen größeren Unternehmen mittlerweile gängige Prinzip eine Rolle. Wir haben dann relativ spontan vor der Sitzung entschieden: jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, damit können wir nach dem bereits umgesetzten Entfall von Vorstandsparkplatz und -büro eine weitere unnötige zwischenmenschliche Barriere abbauen. Und tatsächlich, bei Vielen kam diese unerwartete „Offensive“ sehr gut an – auch wenn wir sie nicht als Pflicht untereinander verstehen, denn letztlich muss jeder selbst wissen, wie er oder sie sich am besten wohl fühlt. Wir können es aber vorleben.

Unter den Führungskräften war das Unbehagen dagegen zunächst etwas größer, da man #gernepedu spontan den gänzlichen Verlust von Autorität verbunden sah. Das soll selbstverständlich nicht der Fall sein und ist auch nicht unsere Intention. Ich für mich persönlich kann bisher sagen, dass es eine Erleichterung im täglichen Umgang mit anderen ist. Und auch in der durch den zunehmenden Fachkräftemangel generell erschwerten Nachbesetzung offener Stellen erweist sich ein Hinweis darauf bislang als echter Vorteil.

Wie hat sich das Führungsteam denn bisher generell zusammengefunden?

Soto Sobrino-Bahri: Sehr gut! Wir tauschen uns sehr häufig aus, finden uns in kleinerer wie größerer Runde sehr regelmäßig zusammen und machen so oft und gut es geht „Nägel mit Köpfen“. Florian Liese als Hauptabteilungsleiter und Thorben erwähne ich dabei gerne, da beide für mich in den letzten Wochen und Monaten immer greifbar waren und durch unsere sehr unterschiedlichen Stärken und teilweise auch sehr unterschiedlichen Sichtweisen immer etwas Gutes am Ende herausgekommen ist. Alle auch alle anderen neuen wie bisherigen Mitglieder des Führungskreises gehen mit frischen Ideen gerade richtig voran.

Worauf haben Sie bisher den größten Fokus Ihrer Arbeit gelegt?

Soto Sobrino-Bahri: Im ersten Schritt ging es für mich neben der Einarbeitung in Personalhemen intern erst einmal darum, zu vermitteln, dass der Wechsel eines Vorstands das Tagesgeschäft nicht unmittelbar beeinflusst. Danach haben wir uns einer Bestandsaufnahme der internen Abläufe gewidmet und erste Richtungsänderungen auf den Weg gebracht – damit wir unseren Größenvorteil einer wendigen Organisation noch schlagkräftiger in die Praxis umsetzen können. Der dritte wesentliche Fokus lag auf der Klärung unserer Standortfrage, die wir nun auch dank des persönlichen Einsatzes langjähriger Mitglieder unseres Verwaltungsrates vor Kurzem mit einem vertretbaren Kompromiss zu einem Ende bringen konnten: die BKK W&F bleibt ihrem ursprünglichen Stammsitz in Melsungen mit einem leicht verkleinerten Standort weiterhin erhalten, der lange Zeit im Raum stehende komplette Umzug nach Kassel ist vom Tisch und die betroffenen Mitarbeitenden erleichtert. Ein weiterer Schwerpunkt der ersten Monate lag für mich in der Vernetzung innerhalb des GKV-Systems. Denn bei allem gesunden Konkurrenzdenken gibt es auch genug Themenfelder, an denen es sich lohnt, über einen Austausch gemeinsam besser zu werden oder dem Gesetzgeber auf die Sprünge zu helfen.

Woran denken Sie hier genau?

Soto Sobrino-Bahri: Als mittelständische Betriebskrankenkasse mit mittlerweile 76 Köpfen (in Voll- und Teilzeit, die Red.) besitzen wir zwar vielfältige Kompetenzen, unseren Weg gehen wir aber seit jeher nicht alleine. Neben der -rechtlich verpflichtenden- Zugehörigkeit zu einem Landesverband und dessen Tätigkeiten für uns als Mitgliedskasse auf Ebene der Bundesländer setzen wir seit langem auf freiwillige Zusammenschlüsse, beispielsweise in Form von Arbeitsgemeinschaften. Im BKK-System stehen über diesen Weg beispielsweise seit vielen Jahren umfangreiche zusätzliche Versorgungsangebote zur Verfügung, die denen deutlich größerer Wettbewerber in Nichts nachstehen. Aber auch die Zusammenarbeit gilt es zu pflegen, auszuwerten und weiterzuentwickeln, denn mit der BKK W&F steht auch das deutsche Gesundheitssystem in den kommenden Jahren vor großen Herausforderungen. Hier werden auch wir nur dann mit unseren Anliegen Gehör finden, wenn wir uns aktiv engagieren. Ein sehr wichtiges Beispiel ist hier unsere Zusammenarbeit in der sogenannten RSA-Allianz, in dem neben anderen Betriebskrankenkassen auch Ersatz- und Innungskrankenkassen gemeinsam mit uns für fairere und transparentere Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds kämpfen.

Stichwort Finanzen: derzeit wird wieder mehr denn je über Belastung der Menschen durch hohe Energiepreise gesprochen, aktuell wieder aufgrund der auslaufenden Energiepreisbremsen. Auch Kranken- und Pflegeversicherung müssen teurer werden, weil riesige Finanzlücken bestehen. Worauf müssen sich die Versicherten einstellen?

Soto Sobrino-Bahri: Die Politik hat es auch in den letzten beiden Jahren trotz eines gesetzlich fixierten Auftrags versäumt, ein Konzept für eine nachhaltige Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung vorzustellen. Der große Knall ist daher nicht mehr weit entfernt. Für uns als BKK W&F haben die voraussichtliche Rechnungslegung 2023 und die darauf aufbauende Haushaltsplanung 2024 bereits schwierige Ergebnisse geliefert: während unsere voraussichtlichen Leistungsausgaben sich noch im erwarteten Bereich bewegen, reißen eine Nachforderung für das Jahr 2022 sowie eine voraussichtliche für das laufende Jahr 2023 durch den morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (RSA) zwischen den gesetzlichen Krankenkassen nicht nur bei unser BKK eine unerwartete Lücke.

Diese basiert nach unseren bisherigen Erkenntnissen im Wesentlichen auf erst mit den seit kurzem vorliegenden vollständigen Abrechnungsdaten aller Krankenkassen für das Jahr 2022. Diese bilden seit wenigen Tagen – und damit ein gutes halbes Jahr nach dem buchhalterischen Abschluss des Jahres 2022 – die neue Planungsgrundlage für den Jahresabschluss 2023 und die Haushaltsplanung 2024 aller Krankenkassen. In diesen Daten wird unter anderem sichtbar, dass Versicherte ab dem 70. Lebensjahr im Jahr 2022 deutlich öfter als im Coronajahr 2021 Leistungen in Anspruch genommen haben und die Zuweisungen des Gesundheitsfonds an uns Krankenkassen für diese Altersgruppe deshalb ein deutlich höheres Gewicht als zuvor erhalten haben – unabhängig von weiteren Zuweisungen für tatsächliche Erkrankungen. In der Folge haben sich die Zuweisungen in dieser Altersgruppe extrem erhöht, was in Anbetracht des begrenzten Gesamttopfes zu Lasten der Zuweisungen für jüngere Altersgruppen führte – in denen die BKK W&F wiederum stärker vertreten ist und die natürlich auch Leistungen in Anspruch nehmen.

Was bedeutet diese Entwicklung für die BKK W&F?

Die Lücken der Jahre 2022 und 2023 schließen wir durch eine Reduzierung des Vermögens. Für die Zukunft – also das Haushaltsjahr 2024 – bleibt nur eine Anpassung des Zusatzbeitrags, im konkreten Fall um 0,3 Prozent. Auch für Einkommen oberhalb der so genannten Beitragsbemessungsgrenze von etwa 5.000 Euro im Monat bedeutet dies eine Anpassung von knapp 8 Euro monatlich –wenn man denn einer Beschäftigung nachgeht oder als Rentner versichert ist, da sich hier auch Arbeitgeber und Rentenversicherung beteiligen. Wer seine Beiträge komplett selbst bezahlt – insbesondere Selbständige – für den summiert sich die Mehrbelastung auf etwas mehr als 15 Euro. Anders kann man diesen von uns derzeit als einmalig eingestuften Effekt durch die Corona-Pandemie nicht abfangen.

Aber die Beitragszahlenden finanzieren das Sozialsystem nun einmal.

Soto Sobrino-Bahri: Wenn die medizinische Versorgung teurer wird, dann ist das tatsächlich eine Sache der Beitragszahlenden. Allerdings gibt es zahlreiche staatliche Aufgaben, die aus Beitragsmitteln bezahlt werden, zum Beispiel die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder. Und für ALG-II-Empfänger bekommen die Kassen vom Bund keine kostendeckenden Beiträge, sondern etwa 10 Milliarden Euro pro Jahr zu wenig. Ein Ausgleich aus Steuermitteln steht sogar im Koalitionsvertrag, aber die Ampel hat nicht einmal die Kraft, die eigenen Vorhaben umzusetzen.

Hinzu kommt: auch der kassenindividuelle Zusatzbeitrag ist ein Etikettenschwindel: Er basiert zwar auf den voraussichtlichen Ausgaben der eigenen Versicherten, die überdurchschnittliche Finanzkraft unserer Versicherten spielt jedoch keine Rolle. Zur Deckung der voraussichtlichen Ausgaben erhalten wir nur die Einnahmen aus der durchschnittlichen Finanzkraft aller Gesetzlichen Versicherten. Dies sorgt für eine massive Überzahlung durch die Mitglieder der BKK W&F, die im Sinne eines zu 100% solidarischen Ausgleichs an Krankenkassen mit unterdurchschnittlichen Einnahmen verteilt werden – auch wenn diese so einen niedrigeren Zusatzbeitrag erheben können. Hier geht es daher nicht mehr um Solidarität, hier hat die vollständige Solidarisierung Einzug gehalten – die man zumindest auch so benennen sollte. Krankenkassen mit höherem Zusatzbeitrag haben also nicht – wie es der Begriff vielleicht suggeriert – automatisch schlechter gewirtschaftet. Es kann auch sein, dass sie wie die BKK W&F nur einen (geringen) Teil der tatsächlich von ihren Mitgliedern anfallenden Zahlungen aus dem vermeintlich „kassenindividuellen“ Zusatzbeitrag auch erhalten und der prozentuale Anteil deshalb höher angesetzt werden muss.

Was erwarten Sie als die größten Herausforderungen im nächsten Jahr?

Soto Sobrino-Bahri: Wir gehen optimistisch ins neue Jahr, da wir sind uns sicher sind: sehr gute Leistungen haben ihren Preis und damit auch ihre Berechtigung im Markt der Gesetzlichen Krankenversicherung. Es wird daher auch für die BKK W&F weiterhin eine Nische geben: wer sich bestmöglich gesetzlich versichern und dabei nicht auf den persönlichen aber auch digitalen Service eines mittelständischen Anbieters verzichten möchte, der ist bei der BKK W&F sehr gut aufgehoben. Dazu passend haben wir übrigens auch einige Produktneuerungen geschaffen, über die wir nach der Genehmigung durch unsere Aufsicht auch ausführlich informieren werden. Eins ist aber klar, das gewohnte Mehrleistungsniveau bleibt selbstverständlich erhalten. Herausforderungen sehe ich im nächsten Jahr zum einen wie so oft durch gesetzlich getriebene Veränderungen rund um die verpflichtende Einführung des eRezepts, aber auch die für 2025 geplante elektronische Patientenakte für alle. Auch wenn die Technik dabei sicherlich hier und da noch klemmt, die größte Lücke ist in unseren Köpfen zu schließen. Es reicht einfach nicht, gegen alles und jede Veränderung nur möglichst plausible Begründungen zu suchen, die man garantiert auch findet. Wollen wir den Anschluss an fortschrittliche Länder wie Estland (!) endlich in Angriff nehmen, müssen wir Veränderungen auch zulassen. Uns als Kostenträgern obliegt dabei die Aufgabe, durch Aufklärung zum Gelingen beizutragen.

Als größte Herausforderung für uns als BKK W&F sehe ich die Quadratur des Kreises im Hinblick auf die unbefriedigende Planbarkeit des Risikostrukturausgleichs. Hier gilt es, auch im Versorgungsmanagement alle – zulässigen – Hebel in Bewegung zu setzen, damit Krankenkassenhaushalte und Glückspiel an Gemeinsamkeiten einbüßen.

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