Die nächste Ausgabe erscheint am 01.07.2024.

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Das Magazin der BKK WIRTSCHAFT & FINANZEN

Geldverteilungsmaschine Risikostrukturausgleich

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So finanziert sich die Gesetzliche Krankenversicherung

Wer kennt es nicht, das Versicherungsprinzip von Beitrag und Leistung. Auch in der Gesetzlichen Krankenversicherung gilt bis heute: man zahlt einen Beitrag und erwirbt dafür einen Leistungsanspruch. Nicht mehr gültig ist jedoch die noch immer weit verbreitete Vermutung, dass der eigene Beitrag auch bei der eigenen Krankenkasse vereinnahmt wird. Denn sämtliche Beiträge, die Mitglieder und Arbeitgeber Monat für Monat an die Krankenkassen überweisen, werden von diesen unmittelbar und 1:1 an den Gesundheitsfonds unter dem Dach des Bundesamts für Soziale Sicherung (BAS) weitergeleitet. Das Ziel: eine möglichst gerechte Umverteilung, dessen Berechnungsbasis der sogenannte morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) liefert.

Florian Liese

Die Wirkungsweise und das Ineinandergreifen der vielen Stellschrauben des Morbi-RSA ist selbst ausgewiesenen Experten nicht vollumfänglich transparent. Zu groß sind die Abhängigkeiten von Faktoren, die man selbst nicht beeinflussen kann. „Dabei geht es um nichts mehr als die elementare Finanzierung aller gesetzlichen Krankenkassen. Alleine im Jahr 2023 werden über den Gesundheitsfonds mehr als 273 Milliarden Euro für die medizinische Versorgung der mehr als 74 Millionen gesetzlich Versicherten umverteilt“, erläutert Hauptableitungsleiter Florian Liese. Eingeführt wurde der RSA bereits 2009, er soll einen fairen Wettbewerb unter den gesetzlichen Krankenkassen ermöglichen, indem er Einkommen und Erkrankungen der Versicherten ausgleicht.

Komplexe Ermittlung der Zuweisungen

Die Verteilung der Finanzmittel an die einzelnen Krankenkassen erfolgt in Form von Zuweisungen. Die Krankenkassen erhalten dabei für jeden Versicherten einen Grundbetrag, dessen Höhe sich nach den Risikomerkmalen Alter, Geschlecht und Wohnort des Versicherten richtet. Hinzu kommen Zuschläge, wenn der Versicherte an bestimmten Vorerkrankungen leidet. Die Zuweisungen bauen dabei auf den durchschnittlichen (Mehr-)kosten einer Erkrankung im Folgejahr auf. Rund die Hälfte der Mittel an eine Krankenkasse wird über die Grundzuweisung für Alter, Geschlecht und Wohnort verteilt, die andere Hälfte über Vorerkrankungen anhand von Abrechnungsdaten.

Abbildung RSA neu
Copyright: Bundesamt für soziale Sicherung

Liese: „Durchgeführt wird der RSA jahresbezogen (immer für ein sogenanntes Ausgleichsjahr) und basiert auf einem regelmäßig überarbeiteten Versichertenklassifikationsmodell. Festgelegt wird dieses jeweils zum 30. September des Vorjahres für das folgende Ausgleichsjahr“. Das Verfahren ist als monatliches Abschlagsverfahren mit Strukturanpassungen und einem abschließenden Jahresausgleich ausgestaltet. So werden die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zwar unterjährig an aktuelle Versichertenzahlen der Krankenkassen angepasst, erst im späteren Jahresausgleich finden sich Veränderungen in der Morbidität wieder. Liese: „Kommt eine Krankenkasse mit den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht aus, kann sie zur Schließung der Deckungslücke ihr Vermögen einsetzen oder muss einen Zusatzbeitrag erheben.“ Auch der Zusatzbeitrag wird dabei 1:1 an den Gesundheitsfonds weitergeleitet. Zurück an die Krankenkasse fließt ein auf das durchschnittliche Einkommen aller Gesetzlich Versicherten bereinigter Betrag. Da die Mitglieder der BKK W&F über eine überdurchschnittliche Finanzkraft verfügen, fließen auch über den Zusatzbeitrag der BKK W&F Mittel an Krankenkassen mit unterdurchschnittlicher Finanzkraft ab.

Fairer Wettbewerb gelingt trotzdem nur bedingt: letzte Reform 2021

Für ältere und kränkere Versicherte erhält eine Krankenkasse mehr Geld als für junge, gesunde. Denn ältere, kränkere Versicherte verursachen im Durchschnitt höhere Kosten. Kassen mit älteren, kränkeren Versicherten hätten ohne einen RSA also einen Wettbewerbsnachteil. Die Ausgestaltung des RSA ist trotzdem umstritten, Reformen sollen die Zielgenauigkeit deshalb weiter erhöhen und Fehlentwicklungen entgegensteuern.

So sind mittlerweile alle Diagnosen Gegenstand des RSA, zuvor waren es bis zu 80 ausgewählte. Damit es bei den gemeldeten Diagnosen nicht zu ungerechtfertigten Fallzahlsteigerungen und damit zu überhöhten RSA-Zuweisungen kommt, trat 2021 eine sogenannte „Manipulationsbremse“ in Kraft. Diese sieht vor, dass bei einzelnen Diagnosegruppen mit übermäßigen Fallzahlsteigerungen die Zuweisungen nachträglich pauschal auf null Euro festgelegt werden. Mit diesem Werkzeug soll Anreizen zur Diagnoseausweitung und einer damit verbundenen Manipulation des Risikostrukturausgleichs entgegengewirkt werden.

Eine besondere Herausforderung stellt die Vermeidung von Doppel- und Mehrfachzuweisungen dar. Jörg Huchthausen, Abteilungsleiter Finanzen: Wer an einer schwereren Form einer Krankheit leidet, soll etwa nicht auch noch zusätzlich die Zuschläge für leichtere Formen erhalten. Die Diagnosegruppen sind deshalb nach medizinischem Schweregrad und Kostenintensität geordnet. Zuschläge gibt es bei Mehrfachzuordnungen dann nur für die Gruppe mit dem höchsten Schweregrad. Die Folgen sind teils überaus komplexe Über- und Unterordnungsnetzwerke von Diagnosegruppen“.

Joerg Huchthausen

Eine weitere Herausforderung: „Durch den Schlussausgleich am Ende des Folgejahres und damit erst ein halbes Jahr nach dem buchhalterischen Abschluss eines Rechnungsjahres können sich nachträglich noch deutliche Verschiebungen bei den Einnahmen ergeben“, so Huchthausen abschließend.

Zusätzliches Sicherungsnetz „Risikopool“ – Ausgleichszahlungen für besonders kostenintensive Therapien

Überschreiten die Ausgaben eines Versicherten im RSA-Ausgleichsjahr die Schwelle von 100.000 Euro (wird jährlich dynamisiert), bekommt die betroffene Kasse 80 Prozent des darüber liegenden Betrags erstattet. Auf diese Weise bleiben ausreichend Anreize für eine wirtschaftliche Versorgung betroffener Versicherter erhalten. Verursacht ein Versicherter zum Beispiel Ausgaben in Höhe von 200.000 Euro, bekommt seine Krankenkasse 80.000 Euro aus dem Risikopool ersetzt, 120.000 Euro muss sie selbst tragen. Die Einführung eines Risikopools stellt kein Novum dar. Obwohl der Risikopool erhebliche Verteilungswirkung entfaltet, wird er im Abschlagsverfahren der Zuweisungen an die Krankenkassen nicht berücksichtigt und erst mit dem Schlussausgleich bestimmt. Eine ähnliche Regelung bestand bereits im Rahmen des sogenannten Alt-RSA vor dem Jahr 2009.

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